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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbie Taylor
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er saß, schien Will sich wieder unwohl zu fühlen. Er wirkte seltsam deplatziert, zu groß für das kleine Café und den winzigen
Tisch. Linkisch war das erste Wort, das ihr in den Sinn kam. Er war ein großer, linkischer Kerl.
    »Warum bist du hier in London?«, fragte Dawn.
    Will zuckte die Achseln. »In meinem Beruf gibt es in der Stadt mehr Jobs.«
    »Als Farmer?«
    »Nein. Ich bin in der IT-Branche.«
    »Oh.« Sie wusste selbst nicht, wieso sie das dermaßen überraschte. Warum sollte er nicht in der IT-Branche sein? Es war wohl so, dass sie sich den Jungen von damals nur draußen in der Natur vorstellen konnte. Zusammen mit seinem Hund lief er über matschige Feldwege, während sich im Hintergrund die regennassen, leuchtend grünen Grashügel erhoben, auf denen Schafe weideten.
    »Meine Eltern haben den Hof verkauft«, erklärte Will. »Sie sind vor vielen Jahren nach Cockermouth gezogen und dort auch gestorben.«
    »Das tut mir sehr leid.«
    Wieder zuckte er die Achseln. »Damals haben viele es so gemacht. Mit der Landwirtschaft lässt sich kaum noch Geld verdienen.«
    Er hatte recht. Dawn konnte sich noch gut daran erinnern, wie unglücklich ihre Großmutter seinerzeit gewesen war, weil der Verkauf des elterlichen Hofs so wenig einbrachte.
    Im Café wurde es hell. Durch das Fenster fiel plötzlich Sonnenlicht herein.
    »Mein Vater«, sagte sie, »hielt die Gegend rund um die Seen für den schönsten Ort der Welt. Im Sommer ist er als Student dort wandern gegangen. Er hatte sich verlaufen und auf dem Grundstück der Eltern meiner Mutter sein Zelt aufgeschlagen. Sie kam in Unterwäsche aus dem Haus, um ihn davonzujagen, und drohte ihm, die Hunde auf ihn zu hetzen. Acht Monate später waren sie verheiratet.«

    Die Leute am Nebentisch klapperten mit ihrem Besteck. Der Setter fuhr erschreckt zusammen und stieß gegen die Tischplatte. Aus dem umgekippten Milchkännchen lief ein dünnes Rinnsal zu Boden.
    »Boris.« Will erhob sich. »Was hast du nun schon wieder angestellt?«
    Das goldene Licht war verschwunden. Wills breite Schultern versperrten Dawn die Aussicht. Er versuchte, den Schaden zu beheben, stellte sich aber ziemlich ungeschickt an. Er hantierte mit den viel zu kleinen, dünnen Servietten herum und tropfte sich die Hose voll. Boris ließ sich wieder auf die Vorderpfoten sinken und winselte leise vor sich hin.
    »Er möchte raus«, sagte Will und legte die Serviette auf den Tisch. »Wir waren noch nicht lange unterwegs, als es zu regnen anfing.« Er sah aus dem Fenster. »Aber jetzt sieht es wieder trocken aus.«
    Das stimmte. Am Himmel zeigten sich die ersten blauen Stellen. Die nassen Gehsteige glänzten.
    »Dann machen wir uns mal wieder auf den Weg«, sagte Will. Die Unsicherheit war zurückgekehrt. »Können wir dich allein lassen?«
    »Natürlich. Mir geht es gut.«
    Doch es versetzte ihr einen Stich. Niemals hätte sie gedacht, dass sie nach der traurigen Zeremonie im Krematorium den Nachmittag damit verbringen würde, im Café zu sitzen und an die Berge und Feldwege ihrer Kindheit zu denken. Wills gedehnte Sprechweise und seine tiefe Stimme hatten ein Fenster in ihrer Seele aufgestoßen, das sich wieder schließen würde, wenn er gegangen war, und dann wäre sie wieder mit ihrem Kummer allein. Sollte sie ihm ein zweites Treffen vorschlagen? Aber worüber sollten sie reden? Will war ein netter Kerl, aber Konversation schien nicht seine Stärke zu sein. Obwohl er Dawn angesprochen hatte, war
es letztendlich nur sie gewesen, die geredet hatte. Er hatte einfach nur dagesessen und die Ketchupflasche angestarrt, hatte sie nicht einmal gefragt, wie es ihr und ihrer Familie ergangen war. Vermutlich hatte ihn nur die anfängliche Aufregung so aufgeschlossen wirken lassen. Dawn war es ähnlich ergangen. Und als der erste Schreck vorüber war, hatte die Unterhaltung sich schnell totgelaufen. Vermutlich war Will einer dieser schüchternen, verschrobenen Männer, die sich in Gegenwart anderer unwohl fühlten und am liebsten allein waren. Sie wiederzusehen war für ihn nicht mehr als eine angenehme Überraschung gewesen. Vermutlich wäre es das Beste, es dabei zu belassen.
    Will hakte die Hundeleine in das leuchtend blaue Halsband ein. Milly sprang auf, ihre Krallen scharrten über den feuchten Boden. Dawn sagte: »Nein, Milly, wir bleiben noch ein bisschen«, und gleichzeitig meinte Will: »Ich glaube, Boris hat eine neue Freundin.«
    Er lachte und streichelte Millys angeknabbertes Ohr.
    »Sie freut sich

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