Die Satanischen Verse
hundertprozentige Bewunderer Ihrer göttlichen Heldenepen.« Er packte und schüttelte Gibrils rechte Hand.
»Da ich nun einmal zur pantheistischen Sichtweise neige«, dröhnte Maslama weiter, »Gründet meine persönliche Sympathie für Ihre Arbeit in Ihrer Bereitschaft, Gottheiten jeder erdenklichen Couleur darzustellen. Sie, Sir, sind eine Regenbogenkoalition des Himmlischen; e ine wandelnde UNO der Götter! Sie sind, kurz gesagt, die Zukunft. Erlauben Sie mir, Sie zu grüßen.« Er begann, den unverkennbaren Geruch des wahrhaft Verrückten auszuströmen, und obgleich er bisher nichts gesagt oder getan hatte, was mehr als bloß eigenartig war, wurde Gibril unruhig und warf kleine nervöse Blicke Richtung Tür, um die Entfernung abzuschätzen. »Ich, Sir«, sagte Maslama gerade, »neige zu der Meinung, dass jeder Name, den man dem Einen gibt, nicht mehr als ein Kode ist; eine Ziffer, Mr. Farishta, hinter welcher der wahre Name verborgen liegt.«
Gibril schwieg, und Maslama, der keinen Versuch machte, seine Enttäuschung zu verhehlen, war genötigt, an seiner Stelle zu sprechen. »Was ist sein wahrer Name, höre ich Sie fragen«, sagte er, und da wusste Gibril, dass er recht hatte; der Mann war ein echter Wahnsinniger und seine Autobiografie wahrscheinlich ebenso Erfindung wie sein »Glaube«. Wohin er auch ging, überall wanderten Fiktionen herum, dachte Gibril, Fiktionen, die sich als wirkli che Menschen ausgaben. Ich hab’ ihn mir auch noch selbst eingebrockt, warf er sich vor. Indem ich um meine eigene geistige Gesundheit fürchtete, habe ich diesen redseligen und vielleicht sogar gefährlichen Spinner aus weiß Gott welcher dunklen Ecke heraus auf die Szene gerufen.
»Sie wissen es nicht!« schrie Maslama plötzlich und sprang auf. »Scharlatan! Heuchler! Betrüger! Sie behaupten, der Unsterbliche der Leinwand zu sein, das Avatara von hundertundeinem Gott, und Sie haben keinen blassen Schimmer! Wie ist es möglich, dass ich, ein armer Junge aus Bartica am Essequibo, der es zu etwas gebracht hat, solche Dinge weiß, während Gibril Farishta keine Ahnung hat? Pfui, Sie Schwindler, pfui!«
Gibril erhob sich, aber der andere nahm fast die ganze Stehfläche ein, und er, Gibril, musste sich ungeschickt zur Seite lehnen, um Maslamas kreisenden Armen zu entgehen, wovon ihm schließlich einer den grauen Filzhut herunterschlug. Und da ließ Maslama plötzlich den Mund offenstehen. Er schien um Zentimeter zu schrump fen, und nach ein paar Momenten völliger Erstarrung fiel er mit einem dumpfen Schlag auf die Knie.
Was tut er da unten, fragte Gibril sich, meinen Hut aufheben?
Doch der Wahnsinnige flehte um Vergebung. »Ich habe nie daran gezweifelt, dass Sie kommen würden«, sagte er.
»Entschuldigen Sie meine taktlose Wut.« Der Zug fuhr in einen Tunnel ein, und Gibril sah, dass sie von einem warmen goldenen Licht umgeben waren, das von einem Punkt direkt hinter seinem Kopf ausging. Im Glas der Schiebetür sah er die Reflektion des Heiligenscheins um seinen Kopf.
Maslama mühte sich mit seinen Schnürsenkeln ab. »Sir, mein ganzes Leben lang wusste ich, dass ich auserwählt war«, sagte er mit einer Stimme, die jetzt so demütig klang, wie sie vorher drohend geklungen hatte. »Schon als Kind in Bartica wusste ich es.« Er zog seinen rechten Schuh aus und begann, die Socke herunterzurollen. »Mir wurde«, sagte er, »ein Zeichen gegeben.« Dann zog er die Socke ganz aus und enthüllte etwas, das wie ein völlig normaler, wenn auch übergroßer Fuß aussah. Gibril zählte und zählte noch einmal von eins bis sechs. »Der andere Fuß ist genauso«, sagte Maslama stolz. »Ich habe die Bedeutung dieses Zeichens nie auch nur für eine Minute bezweifelt.« Er war der selbsternannte Gehilfe des Herrn, die sechste Zehe am Fuß des Universellen Dings. Irgendetwas konnte einfach nicht stimmen mit dem spirituellen Leben des Planeten, dachte Gibril Farishta. Zu viele Teufel im Menschen, die behaupteten, an Gott zu glauben.
Der Zug fuhr aus dem Tunnel heraus. Gibril traf eine Entscheidung. »Steh auf, sechszehiger Johannes«, intonierte er in seiner besten Hindi-Filmstimme. »Maslama, erhebe dich.«
Der andere rappelte sich hoch und zog mit gesenktem Kopf an seinen Fingern. »Aber eins möchte ich doch wissen, Sir«, murmelte er, »was wird es sein? Vernichtung oder Erlösung?
Warum sind Sie zurückgekehrt?«
Gibril dachte rasch nach. »Es geht um die Urteilsfindung«, antwortete er schließlich. »In diesem Fall müssen
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