Die Satanischen Verse
bekannt ist: In einem Nachtclub, zu dem der Imam regelmäßig seine Statthalter schickt, um zu erfahren, was gewisse andere Personen sagen, die zu gewissen Oppositionsgruppen gehören, lernte Bilal einen jungen Mann aus Desch kennen, ebenfalls eine Art Sänger, also kamen die beiden ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass dieser Mahmud ein schrecklich verängstigter Mensch war.
Er hatte sich vor kurzem mit einer Gori zusam mengetan, einer großgewachsenen, rothaarigen Frau mit üppiger Figur, und dann stellte sich heraus, dass der vorherige Liebhaber seiner angebeteten Renata der Exilchef der SAVAK war, der Folterorganisation des Schahs von Persien. Und zwar die Nummer Eins, der Obermufti, nicht irgendein unbedeutender Sadist mit einem besonderen Talent für das Herausreißen von Zehennägeln oder das Ansengen von Augenlidern, sondern der berühmte Haramzada höchstpersönlich. Am Tag, nachdem Mahmud und Renata in ihre neue Wohnung gezogen waren, kam ein Brief für Mahmud. Hallo, Scheiss efresser , du fickst also meine Frau, ich wollte mich nur mal bei dir melden. Am nächsten Tag kam ein zweiter Brief. Übrigens, du Drecksack, ich hab’ vergessen, dir deine neue Telefonnummer zu geben.
Zu diesem Zeitpunkt hatten Mahmud und Renata bei der Telefongesellschaft um eine Geheimnummer gebeten, diese neue Nummer aber noch nicht bekommen. Als sie zwei Tage später mitgeteilt wurde und es dieselbe war wie in dem Brief, fielen Mahmud sofort sämtliche Haare aus. Und als er sie auf seinem Kissen liegen sah, faltete er die Hände und flehte Renata an: »Baby, ich liebe dich, aber du bist zu heiß für mich, bitte geh woanders hin, weit weg.« Als dem Imam diese Geschichte erzählt wurde, schüttelte er den Kopf und sagte, diese Hure, wer wird sie jetzt noch berühren wollen, trotz ihres lustspendenden Leibes? Sie hat sich einen Makel zugefügt, der noch schlimmer ist als Lepra; auf diese Weise verstümmeln sich die Menschen selbst. Doch die wahre Moral dieser Fabel war die Notwendigkeit ewiger Wachsamkeit. London war eine Stadt, in der der Ex-SAVAK-Chef hervorragende Kontakte zur Telefongesellschaft besaß und der Ex-Koch des Schahs in Hounslow ein gutgehendes Restaurant betrieb. Eine so einladende Stadt, ein solcher Zufluchtsort, die nehmen wirklich jeden. Lasst die Vorhänge zugezogen.
Die Stockwerke drei bis fünf in diesem Mietshaus sind im Augenblick alles, was der Imam an Heimat besitzt. Hier sind die Gewehre und Kurzwellenradios und die Zimmer, in denen die cleveren jungen Männer in Anzügen sitzen und mit eindringlicher Stimme in versc hiedene Telefone sprechen. Hier gibt es keinen Alkohol, Spielkarten und Würfel sind nirgendwo zu sehen, und die einzige Frau ist die, die im Schlafzim mer des alten Mannes an der Wand hängt. In diesem Heimatlandersatz, den der schlaflose Heilige als sein Wartezimmer ansieht, ist die Zentralheizung Tag und Nacht voll aufgedreht, sind die Fenster fest geschlossen. Was der Mann im Exil nicht vergessen kann und daher simulieren muss , ist die trockene Hitze von Desch, dem einstigen und zukünftigen Land, wo selbst der Mond heiß ist und tropft wie ein frisch gebuttertes Chapati. Oh, dieses Land der Sehnsucht, wo Sonne und Mond männlich sind, ihr heißes, süßes Licht aber weibliche Namen trägt. Nachts schiebt der Mann im Exil die Vorhänge zur Seite, und das fremdländische Mondlicht schleicht sich ins Zimmer, bohrt sich mit Eiseskälte in seine Augäpfel, wie ein Nagel. Er zuckt zusammen, verengt die Augen zu Schlitzen. Im losen Gewand, mit gerunzelter Stirn, unheilverkündend, wach: das ist der Imam.
Das Exil ist ein seelenloses Land. Im Exil sind die Möbel hässlich , teuer, alle zur selben Zeit im selben Laden und in zu großer Eile gekauft; silbrig glänzende Sofas mit Flossen wie alte Buicks DeSotos Oldsmobiles, verglaste Bücherschränke, die keine Bücher, sondern Ordner mit Zeitungsausschnitten enthalten. Im Exil wird es siedendheiß unter der Dusche, wenn in der Küche jemand einen Wasserhahn aufdreht, so dass immer dann, wenn der Imam ein Bad nimmt, sein gesamtes Gefolge daran denken muss , keine Kessel zu füllen, keinen schmutzigen Teller abzuspülen, und wenn der Imam auf die Toilette geht, springen seine Jünger mit verbrühter Haut aus der Dusche. Im Exil wird nie gekocht; die Leibwächter mit den dunklen Brillen holen das Essen. Im Exil sehen alle Versuche, Wurzeln zu schlagen, wie Verrat aus: sie sind Eingeständnisse der Niederlage.
Der Imam ist das Zentrum
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