Die Satanischen Verse
der alten Russenpuppenidee. In einer Abba-Puppe mit Anzug und Stiefeln steckte eine Amma in schlichtem Sari, und in ihr eine Tochter, die wiederum einen Sohn enthielt. Zwei Kinder sind genug: das war die Botschaft der Puppe. »Los, schnell-schnell«, rief Srinivas Aischa nach, die bereits an der Tür stand.
»Mit FP-Puppen ist ein guter Umsatz zu machen.« Aischa drehte sich um und lächelte. »Keine Sorge, Srinivas«, sagte sie und ging.
Aischa, die Waise, war neunzehn Jahre alt, als sie ihren Rückmarsch nach Titlipur über den gefurchten Kartoffelweg antrat, doch als sie etwa achtundvierzig Stunden später in ihrem Dorf ankam, hatte sie eine Art Alterslosigkeit erlangt, denn ihr Haar war so weiß wie Schnee geworden, während ihre Haut die strahlende Vollkommenheit der Haut eines neugeborenen Kindes zurückgewonnen hatte, und obgleich sie völlig nackt war, hatten sich Schmetterlinge in so dicken Schwärmen auf ihr niedergelassen, dass sie ein Kleid aus dem feinsten Material der Welt zu tragen schien. Osman der Clown probte gerade mit dem Bum-Bum-Ochsen in der Nähe des Feldwegs, denn obwohl ihre lange Abwesenheit ihn vor Sorgen krank gemacht hatte und er die ganze vergangene Nacht auf der Suche nach ihr gewesen war, musste er dennoch seinen Lebensunterhalt verdienen. Als er sie erblickte, wurde der junge Mann, der nie einen Gott geachtet hatte, weil er als Unberührbarer geboren war, von heiligem Schrecken erfüllt und wagte es nicht, sich dem Mädchen zu nähern, in das er so hoffnungslos verliebt war.
Sie begab sich in ihre Hütte und schlief einen Tag und eine Nacht, ohne zu erwachen. Dann suchte sie das Dorfoberhaupt auf, den Sarpanch Muhammad Din, und teilte ihm mit nüchternen Worten mit, dass ihr der Erzengel Gibril in einer Vision erschienen sei und sich neben ihr zur Ruhe gelegt habe.
»Etwas Großes ist über uns gekommen«, teilte sie dem beunruhigten Sarpanch mit, der bislang mehr mit Kartoffelkontingenten als mit Transzendenz zu tun gehabt hatte. »Alles wird von uns verlangt werden, und alles wird uns auch gegeben werden.«
In einem anderen Teil des Baums tröstete Khadija, die Frau des Sarpanch, einen weinenden Clown, der es nur schwer hinnehmen konnte, dass er seine geliebte Aischa an ein höheres Wesen verloren hatte, denn wenn ein Erzengel sich zu einer Frau legt, ist sie den Männern für immer verloren. Khadija war alt und vergesslich und häufig ungeschickt, wenn sie versuchte, liebevoll zu sein, und sie konnte Osman nur leeren Trost geben:
»Die Sonne geht immer dann unter, wenn der Tiger zu fürchten ist«, zitierte sie das alte Sprichwort: schlechte Nachrichten kommen immer auf einmal.
Schon bald, nachdem die Geschichte von dem Wunder durchgesickert war, wurde das Mädchen Aischa zu dem großen Haus bestellt, und in den folgenden Tagen verbrachte sie lange Stunden hinter verschlossenen Türen mit der Frau des Zamindar, Begum Mishal Akhtar, deren Mutter ebenfalls zu Besuch gekommen und äußerst angetan war von der weißhaarigen Frau des Erzengels.
Der Träumer, träumend, will (kann aber nicht) protestieren: ich hab’ sie doch überhaupt nicht berührt, was soll denn das sein, eine Art feuchter Traum oder was? Verdammt will ich sein, wenn ich weiß, woher das Mädchen ihre Information/Inspiration hat. Nicht aus dieser Ecke, das steht fest. Folgendes geschah: Sie war auf dem Rückweg zu ihrem Dorf, aber dann schien sie urplötzlich müde zu werden und verließ den Pfad, um sich unter eine Tamarinde zu legen und auszuruhen. In dem Moment, als sie ihre Augen schloss , war er da, neben ihr, der träumende Gibril in Hut und Mantel, schmachtend in der Hitze. Sie sah ihn an, aber er konnte nicht sagen, was sie sah, Flügel vielleicht, einen Heiligenschein, das ganze Drum und Dran. Dann lag er da und stellte fest, dass er nicht aufstehen konnte, seine Glieder waren schwerer als Eisenstangen, fast schien es, als würde sein Körper durch sein eigenes Gewicht in die Erde gedrückt.
Als sie ihre Betrachtung abgesch lossen hatte, nickte sie ernst, als hätte er zu ihr gesprochen, und dann legte sie ihren Fetzen von Sari ab und streckte sich neben ihm aus, nackt. Dann schlief er im Traum ein, war sofort weg, als hätte jemand den Stecker herausgezogen, und als er sich wieder wach träumte, stand sie vor ihm mit diesem losen weißen Haar und den Schmetterlingen, die sie bekleideten: verwandelt. Und wieder nickte sie mit einem verzückten Ausdruck auf dem Gesicht; sie erhielt eine Botschaft
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