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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Einsperren da, sondern zum Ausführen! Wofür hast du denn dein ganzes Vermögen, wenn du es nur hinter Schloss und Riegel hältst? Mein Sohn, öffne Geldbeutel und Türen und lasse deine Frau heraus! Nimm sie irgendwohin mit, erneuere deine Liebe zu ihr auf irgendeinem amüsanten Ausflug!« Mirza Said machte den Mund auf, fand keine Antwort, schloss ihn wieder. Geblendet von ihrer eigenen Redekunst, begann Mrs. Qureishi sofort, sich für ihr neues Thema, die Idee eines Ferientages, zu erwärmen. »Schwing dich auf und geh!«
    drängte sie. »Geh, mein Sohn, geh! Geh mit ihr irgendwohin, oder willst du sie so lange einsperren, bis sie weggeht« - hier streckte sie einen Finger unheilverkündend zum Himmel -, »und zwar für immer?«
    Schuldbewusst versprach Mirza Said, über die Sache nachzudenken.
    »Worauf wartest du noch?« rief sie triumphierend. »Du großer Weichling? Du… du Hamlet?«
    Der Angriff seiner Schwiegermutter löste einen der regelmäßigen Anfälle von Selbstvorwürfen aus, die Mirza Said das Leben schwer machten, seit er Mishal dazu überredet hatte, hinter dem Purdah zu bleiben. Um Trost zu finden, ließ er sich nieder und las eine Geschichte von Tagore, Gbare-Baire, in der ein Zamindar seine Frau dazu überredet, hinter dem Purdah vorzukommen, woraufhin sie sich mit einem radikalen Aufrührer einlässt , der in die »Swadeshi«-Kampagne verwickelt ist, und der Zamindar am Ende mit dem Leben büßt. Die Lektüre heiterte ihn für einen Moment auf, doch dann kehrte sein Argwohn zurück. Entspr achen die Gründe, die er seiner Frau genannt hatte, auch wirklich der Wahrheit? Oder hatte er damit nur einen Weg gesucht, sich freie Bahn zu verschaffen für seine Jagd auf die Madonna der Schmetterlinge, die Epileptikerin Aischa? »Freie Bahn«, dachte er, und sah Mrs.
    Qureishi vor sich, wie sie ihn mit Argusaugen beobachtete, »so ein Quatsch.« Aber gleich darauf widersprach er sich. War nicht die Anwesenheit seiner Schwiegermutter gerade ein Beweis für seine ehrlichen Absichten? Hatte er Mishal denn nicht zugeredet, sie kommen zu lassen, obwohl er genau wusste , dass der alte Fettkloß ihn nicht leiden konnte und ihn jeder erdenklichen Arglist auf Erden bezichtigte? »Wäre ich so darauf erpicht gewesen, dass sie herkommt, wenn ich ein Techtelmechtel geplant hätte?« fragte er sich. Aber die in neren Stimmen nörgelten weiter: »Diese ganze neue Sinnlichkeit, das frisch erwachte sexuelle Interesse an deinem Weibe, ist nichts weiter als Übertragung.
    In Wirklichkeit sehnst du dich danach, dass dein Bauernflittchen kommt und mit dir rumflittert.«
    Schuldgefühle gaben dem Zamindar stets die Gewissheit , ein völlig wertloser Mensch zu sein, und so kamen ihm in seinem Unglück die Beleidigungen seiner Schwiegermutter wie die reine Wahrheit vor. »Weichling«, nannte sie ihn, und während er in seinem Arbeitszimmer saß, umgeben von Bücherschränken, in denen sich zufriedene Würmer durch Sanskrit-Texte von unschätzbarem Wert fraßen, wie sie noch nicht einmal in den Landesarchiven zu finden waren, oder durch die weniger erhebenden Gesammelten Werke von Percy Westerman, G. A. Henty und Dornford Yates, gestand sich Mirza Said ein, jawohl, seht alle her, ich bin ein Weichling. Das Haus war sieben Generationen alt, und seit sieben Generationen war hier auch die Verweichlichung vorangeschritten. Er ging auf den Korridor, wo seine Vorfahren unheilvoll in vergoldeten Rahmen hingen, und betrachtete nachdenklich den Spiegel, den er an den letzten freien Platz gehängt hatte, zur ständigen Erinnerung daran, dass auch er eines Tages an dieser Wand enden würde. Er war ein Mann ohne raue Ecken und schar fe Kanten; sogar seine Ellbogen waren mit Fleischpölsterchen bedeckt. Im Spiegel sah er den dünnen Schnurrbart, das kaum entwickelte Kinn, die mit Paan befleckten Lippen. Backen, Nase, Stirn: alles weich, weich, weich. »Was soll denn überhaupt jemand an mir finden?« rief er, und als ihm klar wurde, dass er laut mit sich selbst gesprochen hatte, wusste er, wie aufgewühlt er sein musste und daher verliebt, krank vor Liebe wie ein Hund, und dass diese heftigen Gefühle nicht länger seiner liebenden Ehefrau galten.
    »Ach, was bin ich doch für ein elender, oberflächlicher, gemeiner, verlogener Kerl«, seufzte er vor sich hin, » dass ich mich so sehr und so schnell verändern kann. Ich sollte einfach Schluss machen, das wäre das Beste.« Aber er war nicht der Typ, der sich ins Schwert stürzte. Statt

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