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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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nicht für gottesfürchtiges Verhalten sorgte, jetzt musste ihr auch noch das passieren; sie war mit einem Küchenmesser auf Mishal losgegangen, und ihre Tochter hatte sich mit schmerzhaften Tritten und Stößen gewehrt, die reine Selbstverteidigung, sonst hätte man es nur Muttermord nennen können. Hanif kam wieder zu sich, Hadschi Sufyan sah zu ihm hinunter, bewegte die Hände in ratlosen kleinen Kreisen, weinte hemmungslos, vermochte keinen Trost in seiner Bildung zu finden, denn die Reise nach Mekka, für die meisten Moslems eine große Gnade, war für ihn der Anfang eines Fluchs gewesen. »Geh«, sagte er.
    »Hanif, mein Freund, verschwinde.« Doch Hanif wollte nicht gehen, ohne noch etwas loszuwerden. Ich habe viel zu lange den Mund gehalten, rief er, ihr, die ihr euch für so moralisch haltet, bereichert euch am Elend eures eigenen Volkes, woraufhin sich herausstellte, dass Hadschi Sufyan nie gewusst hatte, welche Preise seine Frau verlangte, die es ihm nie erzählt und ihre Töchter mit schrecklichen und bindenden Schwüren zum Schweigen verpflichtet hatte, wohl wissend, dass er, einmal darauf gek ommen , einen Weg fände, das Geld zurückzugeben, so dass sie weiter in Armut dahinvegetieren würden; und er, die gute Seele des Café Shaandaar verlor jetzt alle Lebensfreude. Und nun kam Mishal ins Café , o welche Schande, die familiären Verhältnisse so in Szene zu setzen, wie ein billiges Theaterstück, vor den Augen der zahlenden Gäste, obwohl de facto die letzte Teetrinkerin den Schauplatz so schnell verließ, wie ihre alten Beine es erlaubten. Mishal hatte Taschen dabei. »Ich gehe ebenfalls«, verkündete sie.
    »Versucht nicht, mich aufzuhalten. Es sind nur noch elf Tage.«
    Als Hind sah, dass ihre ältere Tochter im Begriff war, ein für allemal aus ihrem Leben zu treten, wurde ihr klar, welchen Preis man zahlte, wenn man den Fürsten der Finsternis unter seinem Dach beherbergte. Sie bat ihren Mann, Vernunft anzunehmen, zu begreifen, dass sie durch seine Gutmütigkeit und Großzügigkeit in diese Hölle geraten seien und dass sie, wenn nur dieser Teufel, Chamcha, aus dem Haus geworfen würde, wieder die glückliche und fleißige Familie werden könnten, die sie früher gewesen waren. Kaum hatte sie den Satz beendet, begann das Haus über ihr, zu rumpeln und zu erzittern, und man hörte ein Geräusch von der Treppe her, etwas kam herunter, knurrend und - so schien es jedenfalls - singend, mit einer so abscheulich heiseren Stimme, dass man kein Wort verstand.
    Es war Mishal, die sich am Ende entschloss , ihm entgegenzugehen, Hanif Johnson hielt ihre Hand, während die treulose Anahita vom Fuß der Treppe zusah. Chamcha war auf zweieinhalb Meter angewachsen , und aus seinen Nasenlöchern quoll Rauch in zwei verschiedenen Farben, aus dem linken gelber Rauch und aus dem rechten schwarzer. Er trug keine Kleidung. Seine Körperbehaarung war dick und lang geworden, sein Schwanz peitschte zornig, seine Augen waren von einem leuchtenden hellen Rot, und es war ihm gelungen, die gesamte einstweilige Bevölkerung des Bed-and-Breakfast-Etablissements in sprachloses Entsetzen zu stürzen. Mishal indes war nicht allzu verängstigt. »Wohin gehst du?« fragte sie.
    »Glaubst du, du schaffst es fünf Minuten da draußen, so wie du aussiehst?« Chamcha blieb st ehen, blickte an sich hinunter, bemerkte die ansehnliche Erektion, die aus seinem Unterleib hervorwuchs, und zuckte die Schultern. »Es wird Zeit, dass ich etwas unternehme«, sagte er zu ihr, ihre eigene Formulierung zitierend, die jedoch in dieser Stimme aus Lava und Donner nicht mehr von ihr zu stammen schien. »Ich muss jemand finden.«
    »Immer mit der Ruhe«, sagte Mishal, »wir werden uns was ausdenken.«
     
    Was gibt’s hier schon zu sehen, eine Meile vom Shaandaar, hier, im Hot-Wax-Club, dem früheren Blak-An-Tan, dem Diskoschuppen des Viertels? Sehen wir uns die Gestalten an, die in dieser unglückseligen und mondlosen Nacht zusammenströmen, die einen großtuerisch, herausgeputzt, geil, die anderen verstohlen, den Schatten suchend, scheu, um plötzlich durch diese nichtssagende Tür zu gehen, unterzutauchen. Und wie sieht es im Innern aus? Lichter, Flüssigkeiten, Puder, Körper, die sich schütteln, einzeln, zu zweit, zu dritt, Möglichkeiten austaxierend. Doch was sind diese anderen Figuren, undeutlich in der in allen Regenbogenfarben flackernden Luft, diese in ihrer Haltung erstarrten Formen mitten unter den wahnsinnigen Tänzern? Was hüpft und

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