Die Satanischen Verse
ja? Diesmal bringst du ihn ins Irrenhaus.«
»Wir werden sehen, Mutter. Im Moment schläft er.«
»Irgendwann wird er schließlich aufwachen«, fauchte sie, hatte sich aber sofort wieder in der Gewalt. »Na schön. Es ist dein Leben. Hör mal, haben wir nicht ein tolles Wetter? Es kann noch monatelang so weitergehen: ›stabile Wetterlage‹, haben sie im Fernsehen gesagt, Regen über Moskau, während wir hier eine tropische Hitze welle haben. Ich habe Boniek in Stanford angerufen und gesagt: Jetzt haben wir aber ein Wetter in London!«
VI
RÜCKKEHR NACH JAHILIA
Als Baal, der Dichter, eine blutrote Träne aus dem linken Auge der Statue Al-Lats im Haus des Schwarzen Steins treten sah, wusste er, dass der Prophet Mahound nach fünfundzwanzig Jahren Exil auf dem Heimweg nach Jahilia war. Er rülpste lang und laut - eine Beschwerde des Alters, deren Derbheit der im Lauf der Zeit eingetretenen allgemeinen Verfettung zu entsprechen schien, einer Verfettung von Zunge und Körper, einem allmählichen Gerinnen des Blutes, das aus dem Fünfzigjährigen eine Figur gemacht hatte, die mit dem jungen flinken Baal nicht mehr viel Ähnlichkeit besaß. Manchmal war ihm, als wäre sogar die Luft dicker geworden, als setzte sie ihm Widerstand entgegen, so dass er selbst bei kürzeren Spaziergängen außer Atem geriet, Schmerzen im Arm und eine Unregelmäßigkeit in der Brust verspürte… und auch Mahound musste sich verändert haben, wenn er in Glanz und Gloria an einen Ort zurückkehrte, aus dem er mit leeren Händen geflohen war, nicht einmal mit einer Frau. Mahound war fünfundsechzig.
Unsere Namen begegnen sich, trennen sich, begegnen sich wieder, dachte Baal, aber die, die diese Namen tragen, sind nicht mehr dieselben. Er verließ Al-Lat, trat hinaus in das grelle Sonnenlicht und hörte hinter seinem Rücken ein leises Kichern.
Schwerfällig drehte er sich um; niemand war zu sehen. Ein Gewandzipfel verschwand hinter einer Ecke. Heutzutage kam es oft vor, dass Fremde auf der Straße über den heruntergekommenen Baal lachten. »Dreckskerl!« schrie er so laut er konnte, sehr zum Verdruss der anderen Besucher des Hauses. Baal, der altersschwache Dichter, benahm sich mal wieder daneben. Er zuckte die Schultern und ging nach Hause.
Die Stadt Jahilia war nicht mehr aus Sand gebaut. Das heißt, die Jahre, die Zauberei der Wüstenwinde, der Mond, der versteinerte, die Vergesslichkeit der Menschen und die Unvermeidlichkeit des Fortschritts hatten die Stadt gehärtet, so dass sie ihren früheren, unsteten, einstweiligen Charakter einer Fata Morgana, in der Mensch en leben konnte, verloren hatte und ein prosaischer Ort geworden war, alltäglich und (wie seine Dichter) mittellos. Mahounds Arm war lang geworden; seine Macht hatte Jahilia eingekreist, ihre Lebensadern abgeschnitten, die Pilger und Karawanen. Die Jahrmärkte von Jahilia waren heutzutage ein erbärmlicher Anblick. Selbst der Grande bot inzwischen ein jämmerliches Bild, das weiße Haupthaar ebenso lückenhaft wie die Zähne. Seine Konkubinen starben an Altersschwäche, und ihm fehlte die Energie -oder, wie es die Gerüchte in den verwinkelten Gassen der Stadt wollten: der Wunsch -, sie zu ersetzen. An manchen Tagen vergaß er, sich zu rasieren, was den Eindruck von Verfall und Niederlage noch verstärkte. Einzig Hind war noch dieselbe.
Sie war seit jeher im Ruf einer Hexe gestanden, die demjenigen, der es unterlassen hatte, sich vor ihrer Sänfte zu verneigen, Krankheiten anhexen konnte, eine Magierin, die imstande war, Männer in Wüstenschlangen zu verwandeln, wenn sie genug von ihnen hatte, und sie beim Schwanz zu packen und ungehäutet zu kochen, um sie zum Abendessen zu verspeisen. Die Legenden, die sich um ihre Nekromantie rankten, erhielten jetzt, da sie sechzig war, neue Nahrung aufgrund ihrer außergewöhnlichen und unnatürlichen Fähigkeit, nicht zu altern. Während alles um sie herum in Stagnation verfiel, während aus den Banden der Schark ältere Männer geworden waren, die bei Karten-und Würfelspiel an den Straßenecken hockten, während die alten Zauberinnen mit den Knotenschnüren und die Schlangenmenschen in der Gosse verhungerten, während eine neue Generation heranwuchs, deren konservative Haltung und unkritische Anbetung alles Materiellen ihrem Wissen entsprang, dass mit Arbeitslosigkeit und Entbehrung jederzeit zu rechnen war, während die große Stadt das Gefühl für sich selbst verlor und sogar der Totenkult zunehmend unbeliebter wurde, zur
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