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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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-, bis es für Gibril Zeit war, seinen Platz hoch über der Bühne auf einem mittels Winde betriebenen »Triumphwagen« einzunehmen. Es gab ein drahtloses Telefon, über das Sisodia ihm mitteilte, dass das Haus ausverkauft sei - »alle möglichen Leute sind gekommen«, triumphierte er und setzte Gibril seine Methode der Publikumsanalyse auseinander: die Pakistanis erkenne man, weil sie sich in Schale würfen, die Inder, weil sie diesbezüglich keinerlei Aufwand trieben, und die Bangladeschis, weil sie sich geschmacklos kleideten, »haben eine Vorliebe für Gotas in Purpur und Pipi-Pink und Gold« -, und das ansonsten stumm blieb; und schließlich eine große, in Geschenkpapier eingewickelte Kiste, ein kleines Präsent seines aufmerksamen Produzenten, der Miss Pimple Billimoria entstieg, ein gewinnendes Lächeln auf den Lippen und einen goldenen Fummel am Leib. Alle Filmstars waren versammelt.
     
    Während er in dem Triumphwagen saß und darauf wartete, hinuntergelassen zu werden, setzte das eigenartige Gefühl ein, das heißt, es kehrte zurück. In Gedanken sah er sich einen Weg entlanggehen, auf dem er jederzeit eine Wahl zu treffen hätte, eine Wahl - der Gedanke entstand ohne eigenes Zutun in seinem Kopf - zwischen zwei Realitäten, dieser Welt und einer anderen, die ebenfalls existierte, sichtbar, aber ungeschaut. Er fühlte sich träge, schwer, entfernt von seinem eigenen Bewusstsein , und erkannte, dass er nicht die leiseste Idee hatte, für welchen Weg er sich entscheiden, welche Welt er betreten würde. Jetzt wurde ihm klar, dass die Ärzte ihn zu Unrecht wegen Schizophrenie behandelt hatten: die Spaltung war nicht in ihm, sondern im Universum. Als der Triumphwagen seine Abwärtsfahrt begann, dem ungeheuren, wogenden Tosen entgegen, das unter ihm aufbrandete, sagte Gribril noch einmal seine erste Textzeile auf - Mein Name ist Gibril Fanshta, und ich bin wieder da - und hörte sie sozusagen in Stereo, denn auch sie gehörte in zwei Welten, mit jeweils unterschiedlicher Bedeutung; und jetzt erfassten ihn die Scheinwerfer, er streckte beide Arme hoch, kehrte von Wolken umgeben zurück, und die Menge und auch seine Kollegen hatten ihn erkannt; die Zuschauer sprangen von ihren Plätzen auf, Männer, Frauen, Kinder, alle drängten zur Bühne, unaufhaltsam, wie ein Meer.
    Der erste, der ihn erreichte, konnte noch ausrufen: Erinnern Sie sich an mich, Gibril? Der mit den sechs Zehen? Maslama, Sir, John Maslama. Ich habe Ihre Anwesenheit unter uns geheimgehalten; aber ich habe von der Ankunft des HERRN gesprochen, ich bin Ihnen vorausgegangen, ein Rufer in der Wüste, die Gebeugten sollen aufgerichtet werden und das Unebene soll geebnet werden -, aber dann wurde er weggezerrt, und die Leibwächter umringten Gibril: Die sind ja außer Rand und Band, ein echter Tumult, Sie müssen -, doch er weigerte sich zu gehen, weil er bemerkt hatte, dass mindestens die Hälfte der Zuschauer eine groteske Kopfbekleidung trug, Gummihörner, mit denen sie wie Teufel aussahen, als wären sie Zeichen von Dazugehörigkeit und Herausforderung; und in dem Augenblick, als er das Zeichen des Widersachers sah, spürte er, wie das Universum sich gabelte, und er stieg auf dem linken Weg hinunter.
    Die offizielle, von allen Medien übernommene Version dessen, was folgte, lautete, dass Gibril Farishta in demselben Wagen aus der Gefahrenzone herausgehievt worden sei, in dem er heruntergekommen war, und aus dem auszusteigen ihm gar keine Zeit geblieben sei; und dass er, von seinem abgeschiedenen, nicht einsehbaren Platz aus, hoch über dem Gewühl, mühelos die Flucht habe antreten können. Diese Version erwies sich als widerstandsfähig genug, um die »Enthüllung« in Voice zu überleben, der für die Winde zuständige Bühnenassistent h abe diese nicht, betone: nicht, wieder in Bewegung gesetzt, nachdem der Wagen unten angekommen war; vielmehr habe der Wagen während des Aufruhrs der ekstatischen Filmfans seine Position auf der Bühne beibehalten; und überhaupt seien erhebliche Summen an das Bühnenpersonal gezahlt worden, um sicherzustellen, dass es die offizielle Version mittrage, die, weil absolut phantastisch, doch so realistisch war, dass sie von der Öffentlichkeit akzeptiert wurde. Das Gerücht aber, Gibril Farishta sei tatsächlich mit eigener Kraft von der Bühne in Earls Court aufgestiegen und weiß Gott wohin verschwunden, verbreitete sich rasch unter der asiatischen Bevölkerung der Stadt und wurde bestärkt von den zahlreichen

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