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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Berichten, man habe einen Heiligenschein hinter seinem Kopf erkennen können. Nur wenige Tage nach Gibril Farishtas abermaligem Verschwinden wurden in Brickhall, Wembley und Brixton genausoviel Heiligenscheine (am beliebtesten waren grün-fluoreszierende Reifen) wie Kopfbedeckungen mit zwei Gummihörnern verkauft.
    Er schwebte hoch über London! Haha, jetzt konnten sie ihm nichts mehr anhaben, die Teufel, die in jenem Pandämonium auf ihn eingestürmt waren! Er blickte hinab auf die Stadt und sah die Engländer. Das Problem mit den Engländern war, dass sie Engländer waren: verdammt kalte Fische! Leben die meiste Zeit des Jahres unter Wasser, und ihre Tage sind dunkel wie die Nacht! Also: jetzt war er hier, der große Umgestalter, und diesmal würde sich einiges ändern - die Naturgesetze sind die Gesetze ihrer Veränderung, und er war derjenige, der sie sich zunutze machen würde! Jawohl: diesmal Klarheit.
    Er würde ihnen - jawohl! - seine Kraft zeigen! Diese kraftlosen Engländer! Waren sie denn nicht der Ansicht, dass sie von ihrer Geschichte loskämen? »Der Eingeborene ist ein Unterdrückter, der ständig davon träumt, Verfolger zu werden.«
    (Fanon) Engländerinnen würden ihn nicht mehr an die Leine legen; die Verschwörung war aufgedeckt! Und weg mit all dem Nebel. Er würde dieses Land neu erschaffen. Er war der Erzengel, Gibril. Und ich bin wieder da!
    Das Gesicht des Widersachers stand wieder vor ihm, wurde schärfer, deutlicher. Ein Vollmondgesicht mit einem spöttischen Zug um die Lippen: aber der Name fiel ihm immer noch nicht ein… Tscha, wie Tee? Schah, e in König? Oder wie ein (Königs- ? Tee-?) Tanz: Schahtschascha. - Fast. - Und das Wesen des Widersachers? Selbsthass , ein falsches Selbstbild, selbstzerstörerisch. Noch einmal Fanon: »So nimmt das Individuum« - der Fanonsche Eingeborene - »den Zerfall als von Gott beschlossen hin, er wirft sich vor dem Kolonialherrn und dem Schicksal auf den Bauch und gelangt durch eine Art innere Wiederherstellung des Gleichgewichts zu steinerner Gelassenheit.« Ich werde ihm zu steinerner Gelassenheit verhelfen! Eingeborener und Kolonialherr, dieser alte Konflikt, der sich heute unter umgekehrten Vorzeichen auf den regennassen Straßen fortsetzte. Ihm kam der Gedanke, dass er auf ewig mit dem Widersacher verbunden war, die Arme um den Leib des anderen geschlungen, Mund an Mund, Kopf an Zahl, wie damals, als sie zur Erde gefallen waren: sie kolonisierten. Wie es anfängt, so geht es auch weiter. Ja, er kam näher. Tschitschi? Sasa? My other, my love…
    …Nein! Er schwebte über Parklandschaften und brüllte, schreckte die Vögel auf. Schluss mit diesen (von England bewirkten) Unklarheiten, diesem biblisch-satanischen Durcheinander! Klarheit, Klarheit, Klarheit um jeden Preis!
    Dieser Schaitan war kein gefallener Engel. Vergiss diese Sohn-der-Morgenröte-Fiktion. Er war nicht der eigentlich-gute-nur-böse-gewordene Typ, sondern das Böse in reinster Form.
    Tatsächlich war er überhaupt kein Engel! »Er war von den Dschinn, und er versündigte sich.« Koran 18,50: da stand es, schwarz auf weiß. Um wie viel geradliniger diese Version doch war! Um wie viel praktischer, realistischer, verständlicher!
    Iblis/Schaitan stand für die Dunkelheit, Gibril für das Licht. Weg, weg mit diesem sentimentalen Zeug: sich finden, einander in die Arme schließen, lieben. Finden und vernichten: basta.
    … O du gefährlichste, teuflischste aller Städte! In der solch starke, alles beherrschende Gegensätze unter einem endlos nieselnden Grau ertränkt w urden. Wie recht er doch gehabt hatte, beispielsweise, seine satanisch-biblischen Zweifel zu verbannen - jene Zweifel, die Gottes Unwillen betrafen, Meinungsverschiedenheiten unte r seinen Statthaltern zu dulden -, denn da Iblis/Schaitan kein Engel war, gab es auch keine Dissidenten unter den Engeln, die Gott hätte zügeln müssen; und die Zweifel hinsichtlich der verbotenen Frucht und der angeblichen Weigerung Gottes, seinen Geschöpfen eine moralische Wahl zuzugestehen, denn nirgendwo im gesamten Vortrag war (im Gegensatz zur Bibel) der Baum als die Wurzel der Erkenntnis von Gut und Böse bezeichnet worden. Es war einfach ein anderer Baum! Als Schaitan das Paar im Garten Eden in Versuchung führte, nannte er ihn nur den »Baum der Unsterblichkeit«, und da er ein Lügner war, lautete die (durch Umkehrschluss erkannte) Wahrheit, dass die verbotene Frucht ( dass es Äpfel waren, wurde nicht erwähnt) am Todesbaum hing,

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