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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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das heißt, dem Mörder des Menschen. Was blieb nun von diesem moralfürchtenden Gott? Wo war er zu finden? - Nur dort unten, in englischen Herzen. Die er, Gibril, gekommen war zu wandeln.
    Abrakadabra!
    Hokuspokus!
    Doch wo sollte er anfangen? Also, das Problem mit den Engländern war ihr:
    Ihr:
    Mit einem Wort, sprach Gibril feierlich, ihr Wetter.
    Gibril Farishta schwebte auf einer Wolke und gelangte zu der Auffassung, dass die moralische Verschwommenheit der Engländer meteorologisch bedingt war. »Wenn der Tag nicht wärmer ist als die Nacht«, argumentierte er, »wenn das Licht nicht heller ist als das Dunkel, wenn das Land nicht trockener ist als das Meer, dann wird ein Volk natürlich die Kraft verlieren, Unterscheidungen zu treffen, und alles - angefangen von politischen Parteien über Sexualpartner bis hin zu religiösen Überzeugungen - als mehr oder weniger gleich betrachten, als unterschiedslosen Einheitsbrei, plus/minus. Wie töricht! Denn die Wahrheit ist extrem, es ist so und nicht anders, es ist er und nicht sie; eine Sache, die Parteilichkeit erfordert und kein Zuschauersport. Sie ist, kurz gesagt: hitzig. Stadt«, rief er, und seine Stimme rollte wie Donner über die Metropole, »ich werde dir einheizen.«
    Gibril zählte die Vorzüge der geplanten Metamorphose Londons in eine tropische Stadt auf: größere moralische Eindeutigkeit, landesweite Einführung der Siesta, Entwicklung von lebhaften und extravertierten Verhaltensmustern in der Bevölkerung, qualitativ bessere Popmusik, neue Vögel auf den Bäumen (Aras, Pfaue, Kakadus), neue Bäume für die Vögel (Kokospalmen, Tamarinden, Banyans mit hängenden Grannen). Ein verbessertes Straßenleben, unerhört bunte Blumen in den Farben: Magenta, Zinnoberrot, Neongrün, Klammeraffen in den Eichen. Ein neuer, riesiger Markt für Klimaanlagen, Deckenventilatoren, Moskitonetze und -sprays.
    Eine Kokosfasergarn-und Kopraindustrie. Größere Attraktivität Londons als Konferenzzentrum und so weiter; bessere Kricketspieler; stärkere Betonung der Ballkontrolle seitens der Profifußballer, da sich das traditionelle und geistlose englische Festhalten an »Leistung und Einsatz« wegen der Hitze überholt haben wird. Religiöser Eifer, politische Unruhe, neu erwachtes Interesse an den Intellektuellen. Keine britische Reserviertheit mehr; Wärmflaschen werden auf ewig verbannt, statt dessen wird in den stinkenden Nächten langsam und wohlriechend Liebe gemacht. Neue soziale Werte bilden sich heraus: Freunde fangen an, einander spontan zu besuchen, ohne sich vorher anzukündigen. Seniorenheime werden geschlossen, die Großfamilie gefördert. Schärfer gewürzte Speisen kommen auf den Tisch. In englischen Toiletten wird sowohl Wasser als auch Papier benutzt; die Freude, in voller Montur durch den ersten Monsunregen zu laufen.
    Nachteile: Cholera, Typhus, Legionärskrankheit, Küchenschaben, Staub, Lärm, eine Kultur des Exzesses.
    Gibril stand auf dem Horizont, breitete die Arme aus, bis sie den Himmel erfüllten, und rief: »So soll es sein!«
    Dreierlei passierte, und zwar schnell.
    Erstens: während die unvorstellbar kolossalen, elementaren Kräfte des Verwandlungsprozesses aus seinem Körper wichen (war er denn nicht ihre Verkörperung?), wurde er zeitweilig von einer warmen, wirbelnden Schwere überwältigt, einem einschläfernden Schütteln (keineswegs unangenehm), das ihn veranlasste , kurz die Augen zu schließen.
    Zweitens: in dem Moment, als er die Augen schloss , erschienen auf seinem geistigen Bildschirm die gehörnten und ziegenhaften Gesichtszüge von Mr. Saladin Chamcha, so scharf und deutlich wie nur möglich, sowie der Name des Widersachers, als wäre das Bild untertitelt.
    Und drittens: als Gibril Farishta die Augen aufschlug, fand er sich abermals zusammengebrochen vor Alleluja Cones Wohnungstür wieder, bat sie um Vergebung, weinte: O Gott, es ist passiert, es ist wirklich wieder passiert.
     
    Sie brachte ihn zu Bett; er spürte, wie er in den Schlaf flüchtete, sich hineinstürzte, weg aus dem Großen London, auf nach Jahilia, denn der Alptraum hatte die eingestürzte Grenzmauer überschritten und ging in seinen wachen Stunden um.
    »Heimkehrvermögen: ein Verrückter findet den anderen«, sagte Alicja, als ihre Tochter ihr am Telefon die Neuigkeit beibrachte. »Du sendest bestimmt ein Signal, einen Piepton aus.« Wie üblich verbarg sie ihre Besorgnis hinter Frotzeleien.
    Schließlich sprach sie es aus: »Diesmal sei vernünftig, Alleluja ,

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