Die Satanischen Verse
schön.«
Baal sagte: »Nichts wird mehr so sein wie früher.« Salmans Besuch hatte ihn aus dem Traum gerissen, in den er sich während der Jahre im »Vorhang« hatte sinken lassen, und jetzt konnte er nicht mehr einschlafen.
»Ach was«, meinte Aischa, »es wird schon, du wirst sehen.«
Baal schüttelte den Kopf und machte die einzige prophetische Bemerkung seines Lebens. »Eine große Sache wird passieren«, sagte er voraus. »Ein Mann kann sich nicht ewig hinter Frauenröcken verstecken.«
Tags darauf kehrte Mahound nach Jahilia zurück; Soldaten erschienen im »Vorhang«, um der Madame mitzuteilen, dass die Übergangszeit zu Ende sei. Sämtliche Bordelle würden mit sofortiger Wirkung geschlossen. Genug sei genug. Die Madame, verborgen hinter ihren Draperien, bat die Soldaten, sich anstandshalber für eine Stunde zurückzuziehen, damit die Gäste das Haus verlassen könnten. Der Kommandeur der Sittenpolizei, unerfahren wie er war, erklärte sich einverstanden. Daraufhin schickte die Madame die Eunuchen los, die Mädchen zu benachrichten und die Gäste durch einen Hinterausgang hinauszubegleiten. »Entschuldigt euch bei ihnen für die Störung«, befahl sie den Eunuchen, »und sagt ihnen, dass sie in Anbetracht der Lage nichts bezahlen müssen.«
Das waren ihre letzten Worte. Als die aufgeschreckten Mädchen schnatternd in den Thronsaal drängten, um herauszufinden, ob das Schlimmste wirklich eingetroffen war, gab sie keine Antwort auf ihre angstvollen Fragen, sind wir jetzt arbeitslos, wovon sollen wir leben, müssen wir ins Gefängnis, was wird aus uns, bis Aischa all ihren Mut zusammennahm und tat, was noch kein Mädchen bislang gewagt hatte: sie riss die schwarzen Vorhänge auf. Sie standen vor einer toten Frau, die fünfzig oder hundertfünfundzwanzig Jahre alt sein mochte, höchstens einen Meter groß, zusammengesunken wie eine Puppe in einem kissenbeladenen Korbsessel, in der Hand die leere Giftflasche.
»Jetzt, da ihr angefangen habt«, sagte Baal, der in den Raum gekommen war, »könnt ihr die anderen Vorhänge auch alle aufziehen. Es gibt keinen Grund mehr, die Sonne nicht hereinzulassen.«
Der junge Kommandeur der Sittenpolizei, Umar, reagierte ziemlich gereizt und wütend, als er von dem Selbstmord der Bordellbesitzerin erfuhr. »Wenn wir den Chef nicht aufhängen können, dann knöpfen wir uns halt die Arbeiterinnen vor«, brüllte er und befahl seinen Leuten, die »Nutten« in strenge Haft zu nehmen, eine Aufgabe, der sich die Männer mit großer Begeisterung widmeten. Die Frauen lärmten und schrien und wehrten sich mit Händen und Füßen, und die Eunuchen standen da und sahen untätig zu, da Umar ihnen erklärt hatte:
»Den Fotzen soll der Prozess gemacht werden, aber ich habe keinerlei Anweisung, was mit euch geschehen soll. Also, wenn ihr außer euren Eiern nicht auch noch eure Köpfe verlieren wollt, dann haltet euch da raus.« Die Eunuchen kamen den Frauen nicht zur Hilfe, als diese von den Soldaten zu Boden geworfen wurden; bei den Eunuchen stand auch Baal, der mit der gefärbten Haut und den Ge dichten. Kurz bevor die jüngste »Fotze« oder »Möse« gepackt wurde, gellte sie: »Gemahl! Um Gottes willen, hilf uns doch, wenn du ein Mann bist!« Der Chef der Sittenpolizei fand das amüsant. »Wer von euch ist ihr Gemahl?« fragte er und sah prüfend in jedes turbangekrönte Gesicht. »Na los, raus mit der Sprache! Wie ist es denn, zuzusehen, wenn alle Welt es mit deiner Frau treibt?«
Baal richtete den Blick ins Leere, um sowohl Aischas funkelndem Blick als auch Umars zusammengekniffenen Augen auszuweichen. Umar blieb vor ihm stehen. »Bist du’s?«
»Herr, verstehen Sie, es ist nur so ein Ausdruck«, log Baal.
»Sie scherzen gern, die Mädels. Sie nennen uns Gemahl, weil wir, äh…«
Ohne Warnung griff Umar ihm ans Geschlechtsteil und drückte zu. »Weil ihr es nicht bringt«, sagte er. »Gemahl, ja? Nicht schlecht.«
Als der Schmerz nachließ, sah Baal, dass die Frauen verschwunden waren. Umar gab den Eunuchen noch einen Rat, ehe er sich auf den Weg machte: »Verschwindet!« sagte er. »Morgen habe ich vielleicht s chon Anweisungen, was mit euch passieren soll. Nicht viele Leute haben so viel Schwein und bekommen zwei volle Tage Schonfrist.«
Nachdem die Mädchen des »Vorhangs« fortgeschafft worden waren, setzten sich die Eunuchen an den Brunnen der Liebe und weinten bitterlich. Baal jedoch, von Scham erfüllt, weinte nicht.
Gibril träumte von Baals Tod:
Bald nach
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