Die Satanswelt
auffällig.
Chee verließ ihr Versteck, nachdem sie sich vergewissert hatte, daß die Ruinen leer waren. Die Gegend war so karg, daß sie vermutlich nicht einmal den Nomaden Nahrung bot. Sie sah Asche und Unrat, aber es handelte sich um alte Spuren. Falkayn konnte sein Schiff hier landen. Es sah so aus, als sei dieser Fundort ziemlich ergiebig. Denn eines hatten sie bereits erkannt: Der Schlüssel zu Dathynas Gegenwart und Zukunft lag in seiner jüngeren Vergangenheit, im Untergang einer mächtigen Zivilisation.
Sie huschte auf die Ruinen zu. Mauerbrocken, zerbrochene Säulen, rostzerfressene Maschinen ragten wie Grabsteine aus dem Sand. Mauern türmten sich auf, mit blinden Fenstern und gähnenden Türöffnungen, durchzogen von Rissen und Spalten und zum Teil eingesunken.
Etwas bewegte sich im Schatten. Chee machte einen Buckel und griff nach ihrer Waffe. Aber es war nur ein kleiner Vielfüßler, der bei ihrem Anblick die Flucht ergriff.
Die Eingangshalle, oder wie man die Fläche jenseits des Hauptportals sonst nennen mochte, verriet noch etwas von der ehemaligen Pracht – Säulen, Brunnen und Skulpturen aus fein geädertem Marmor und Malachit hatten sie geziert. Nun war das Ganze eine dunkle Höhle; Sand und Unrat bedeckten den Boden, die Skulpturen waren beschädigt; die großartigen Mosaiken unter dem Ruß von Lagerfeuern verborgen. Aber als Chee mit der Taschenlampe die Wände hinaufleuchtete, entdeckte sie Farbe. Sie schaltete das Düsenaggregat ein und ließ sich nach oben tragen. Mit dünnen Schreien stoben Hunderte von Vögeln auf.
Die Wände waren bis zur Decke mit Mosaiken geschmückt. So fremdartig der Stil war, erkannte Chee doch das Erhabene, das von diesen Werken ausstrahlte. Die Farben waren zugleich satt und zurückhaltend, die Motive zugleich heroisch und zart. Sie wußte nicht, was diese Bilder darstellten, und würde es vermutlich nie erfahren, und dieser Gedanke bereitete ihr ein wenig Kummer.
Dann aber erfaßte sie eine neue Erregung. Zum ersten Mal sah sie Porträts der alten Dathynier! Falkayn hatte bereits Knochenfunde gemacht und daraus versucht, die Körperform der untergegangenen Rasse zu rekonstruieren, aber die Anhaltspunkte waren zu spärlich.
Die Erbauer dieser Paläste waren kleiner als ihre Nachfahren, schlanker und stärker behaart. Allerdings fehlte ihnen die Mähne der Shenna. Innerhalb dieser Grenzen gab es jedoch eine Menge Unterschiede. Die Mosaiken zeigten einen stämmigen jungen Mann mit goldschimmerndem Fell und einem schmalen Kopf, der in einer Hand eine Sichel und in der anderen einen Setzling hielt. Da drüben stand eine zierliche dunkle Frau mit geschlitzten Augen; sie spielte ein harfenähnliches Instrument. Dort wiederum hob ein Kahlkopf mit breit vorgeschobener Schnauze seinen Stab schützend über ein Kind, das ihm eine Frucht entgegenstreckte. Der Künstler, der diese Szenen entworfen hatte, war von einem wissenschaftlich geschulten Auge geleitet worden.
Und doch waren die Shenna, völlig anders in Aussehen und Kultur, nirgends auf diesen Mosaiken abgebildet. Nirgends!
Ein Tabu, eine Abneigung? Oder Unterdrückung? Chee spuckte verächtlich. Alles deutete darauf hin, daß die untergegangene Zivilisation vereint und rationalistisch gewesen war. Eine besondere Serie an einer Wand symbolisierte zweifellos die Entwicklung dieses Volkes von Urzeiten an. Man sah, wie ein nackter Wilder sich mit einem abgebrochenen Ast gegen ein Raubtier verteidigte. Später zeigten sich Metallgegenstände; aber immer Werkzeug, niemals Waffen. Zwei Einzelgefechte waren festgehalten; sie schienen eine besondere Stellung in der Geschichte oder Legende jenes verschwundenen Volkes einzunehmen. Aber die Kämpfenden waren mit Buschmessern und Holzfällerbeilen und auf dem anderen Bild mit primitiven Gewehren ausgerüstet, die zweifellos zum Schutz gegen gefährliche Tiere dienten.
Chee Lan sah nirgends Jagdszenen; die Dathynier der Vorzeit schienen zwar Landwirtschaft betrieben zu haben, aber keine Viehzucht.
Das alles ließ nur einen Schluß zu: Die Vorläufer der Shenna waren Vegetarier gewesen. Man konnte nicht behaupten, daß solche Wesen reiner lebten als Fleisch- oder Allesfresser; ihre Sünden verschoben sich lediglich in einen anderen Bereich. Während sie manchmal das Duell einführten und eine verhältnismäßig hohe Zahl an Affekthandlungen begingen, haßten sie den Krieg und fanden die Jagd abstoßend. In der Regel schlossen sich die Familien und Stämme zu großen
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