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Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Titel: Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Millar
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als Hannah, und viel zierlicher.
    Plötzlich gab der Fotokopierer in der Ecke ein lautes Geräusch von sich; Karl und Willie zuckten zusammen.
    »Verdammte Scheiße!«, zischte Karl und lief zu der Maschine. »Papierstau.«
    »Er sieht hier rauf, Karl. Der Kerl sieht direkt hier rauf«, sagte Willie mit Panik in der Stimme. »Oh, nein. Er kommt …«
    Karls Nerven waren gespannt wie Gitarrensaiten.
     
    Für einen so großen und muskulösen Mann hatte Bob Hannah einen recht leichtfüßigen Gang. Er kam gelassen und zuversichtlich die Treppe herauf und blieb vor seinem Büro stehen. Er horchte. Er zeigte keine Eile. Er steckte die Schlüssel in die Schlösser und öffnete sie eines nach dem anderen, wobei er sich ebenfalls Zeit ließ, dann stieß er die Tür auf, trat ein und machte dabei das Licht an. Er ließ die nahezu vollständige Stille in dem Raum auf sich einwirken, dann erst betrachtete er den Tresor und den Tisch. Nichts Ungewöhnliches. Er sah zum Fotokopierer. Da schien etwas verändert zu sein. Was? Er ging hin und legte die Hand auf die Maschine. Er nahm die Hand weg und betrachtete irritiert die Handfläche, als wäre er nicht ganz sicher, was er da vor sich sah. Warm? Oder lag das nur an der drückenden Hitze in dem Zimmer? Der Ledersessel schien verschoben worden zu sein. Wie das? Er legte die Hand auf die Mulde im Leder, wo vor einer Minute noch Willies Hintern geruht hatte. Ebenfalls warm? Hannah sah zur Seitentür. Lief hin und überprüfte, ob sie abgeschlossen war.
    Sie war es. Er schloss sie auf und ging die Treppe hinunter, nahm jedoch im Vorübergehen noch die Feueraxt von der Wand. Das Ausgang-Schild leuchtete grünlich; er folgte ihm pflichtschuldig und ohne das Licht im Treppenhaus einzuschalten.
    An der Eingangstür beugte er sich vor und presste eine Handfläche auf die Tür, als wollte er deren Energie ansaugen. Er hielt das rechte Ohr an die Tür und horchte, während er die Axt fester umklammerte. Er wiegte sich dabei wie ein Gott der Antike, der auf ein Opfer wartet.
     
    Karl und Willie verharrten reglos mit den Rücken zur Eingangstür. Keiner sagte ein Wort. Sie waren ein Verstand in zwei Körpern und atmeten so flach wie Lämmer auf dem Weg zur Schlachtbank. Karl spürte, wie etwas seine Eingeweide packte und zusammenknotete.
    Mit jeder lautlosen Sekunde wuchs die Angst. Karl versuchte, die Kiefermuskeln zu entspannen. Er hörte Atemgeräusche. Nicht seine. Nicht die Willies. Sie kamen von der anderen Seite der Tür. Als hätten sie ein Eigenleben. Greifbar. Böse. Er spürte, wie sich die Tür fast unmerklich bewegte, als würde sie ebenfalls atmen. Drückte jemand dagegen? Er hielt den Atem an. Wartete.
     
    Hannah wartete und lauschte der Außenwelt, die ein chaotischer Gott erschaffen hatte. Er hörte die nächtlichen Geräusche rolliger Katzen; trägen Verkehr in der Ferne; das nächtliche Summen der Stille einer schlafenden Stadt unter einer Glasglocke. Er hegte keinerlei Zweifel daran, dass sich da draußen jemand aufhielt. Ganz in der Nähe. Er dachte an die fremden Gerüche im Büro und den unheimlichen Nachhall einer Person, die noch nicht lange fort war. Der Gedanke beunruhigte ihn kurz, doch dann verschwand er ebenso rasch wieder. Er dachte an etwas anderes. Die dünne Linie zwischen Leben und Tod und was das Schicksal bringen kann, wenn man es herausfordert. Er unterdrückte den Wunsch, das Schicksal und seine launische Natur herauszufordern, doch es gelang ihm nicht; er stieß die Tür auf und atmete die warme, feuchte Nachtluft ein, die ihm entgegenströmte.
    Er trat einen Schritt zurück, machte sich bereit, dem Schicksal zu begegnen, und hielt die Axt zum Schlag erhoben. Er knirschte mit den Zähnen. Wartete. Die Nacht war da draußen, lauerte wie ein schwarzes Nichts und harrte seiner geduldig. Es schien dunkler als sonst zu sein. Er hielt den Atem an und ging hinaus, wie aus einer Zeitmaschine, ohne zu wissen, was ihn erwartete.
    Sie erschreckten ihn, die beiden Trunkenbolde, die sich ein paar Schritte entfernt auf dem Boden wälzten und um einen billigen Wein kämpften, den sie offenbar zwischen den zahlreichen zerschmetterten Flaschen auf der stinkenden Müllhalde gefunden hatten. Sie fluchten, drohten einander die schlimmsten Strafen an und zuckten und zappelten in der Nacht und im Dreck herum. Einer hatte sich in die Hose gepisst. Das sah man deutlich, selbst unter dem schwarzen Leichentuch der Dunkelheit.
    Ekelhafte Kreaturen
, dachte er. »Tiere …

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