Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)
gleichen Bedingungen.«
George Bernard Shaw, Helden
Karl saß in Wilsons Büro, heuchelte Gelassenheit und sah dabei zu, wie Lynne ihren Bruder in Stücke riss.
»Wie zum Teufel kannst du hier sitzen und behaupten, dass du nichts findest, Mark!«, kreischte sie und beugte sich über Wilsons verhärmtes Gesicht.
»Weil wir nichts gefunden
haben
, verdammt! Wäre nicht
irgendjemand
in Hannahs Haus eingebrochen, hätte er vielleicht nicht die Nerven verloren und alles verschwinden lassen, was ihn belasten könnte!«, gab Wilson zurück und sah Karl an.
»Oder wenn jemand aus deinem Büro ihn nicht vorgewarnt hätte …«, sagte Karl ruhig.
»Klar, dass du das sagst, Kane, nicht? Eine Riesenklappe, aber ein Gehirn wie eine Erbse. Bei der Polizei sind ja alle korrupt, was?«
»Ich glaube nicht, dass du gründlich genug gesucht hast, Mark«, sagte Lynne vorwurfsvoll.
»Herrgott noch mal, Lynne! Der Suchtrupp hat das Gefängnis drei Tage lang Zentimeter für Zentimeter durchsucht. Die haben sogar die zugemauerten Fluchttunnel wieder geöffnet, um ganz sicher zu sein. Was soll ich noch machen?«
»Meine Tochter finden! Das sollst du machen!« Unvermittelt brach Lynne in Tränen aus. »Finde … finde sie einfach.«
»Ruhig, Lynne«, sagte Karl beschwichtigend, stellte sich neben seine Exfrau und nahm sie in die Arme. »Ganz ruhig, Mädchen … tief durchatmen. So ist es gut … ruhig …«
»Oh, Karl, was … was sollen wir nur machen?«
»Uns fällt schon was ein. Ich habe schon einen Plan. Komm, ich bring dich nach Hause.«
»Du solltest besser nicht das Gesetz brechen, Kane«, sagte Wilson und versperrte ihnen die Tür. »In dem Fall kannst du endgültig nicht mehr mit meiner Unterstützung rechnen. Ich habe dich gewarnt.«
In Karls Fußzehen wurde eine Zündschnur angezündet, deren lichterloh brennende Flamme im Höllentempo zu dem Pulverfass in seinem Gehirn wanderte. Er konnte sie gerade noch löschen, ehe es zur Explosion kam.
»Ich brauch
deine
Unterstützung für gar nichts, Mark«, antwortete Karl gelassen. »Aber in nicht allzu ferner Zukunft brauchst du vielleicht
meine
.«
»Deine Unterstützung? Ha! Dass ich nicht lache, Kane. Warum zum Teufel sollte ich die jetzt oder in Zukunft brauchen?«
Karl lächelte gezwungen. »Ein kleines Vögelchen hat mir gezwitschert, dass Phillips jetzt doch seine Pension bekommt. Da frage ich mich doch, warum? Aber vielleicht muss ich mich das gar nicht fragen. Vielleicht kenne ich den Grund bereits. Denk darüber nach, Mark, wenn du das nächste Mal vergisst, über die Schulter zu blicken. Und jetzt geh mir aus den Augen.«
Wilson wurde totenblass, entfernte sich hastig von der Tür und ließ sich auf seinen Stuhl fallen.
Hinter Karl und Lynne fiel die Tür ins Schloss.
Kapitel Achtunddreißig
»Ein Mann kann sich für gewöhnlich nur schwer entscheiden, wenn ihn nicht ein dringender Notfall dazu zwingt.«
Anthony Trollope, Ayla’s Angel
Karl war sicher, dass die Bar – Ramblers – irgendwo in der Nähe sein musste. Nicht so sicher war er, wem sie gehörte; ob der Inhaber noch der Mann war, den er unbedingt sprechen musste. Die gestrige Konfrontation mit Wilson hatte ihn nervös gemacht. Er konnte es sich nicht mehr leisten, weiter nur auf seinem Hintern zu sitzen.
»Wonach suchen Sie denn, Mister?«, fragte ein Mädchen, das nicht älter als zehn sein konnte und das Gesicht eines Engels hatte: eine weiße Landkarte voll Sommersprossen, die wie die Köpfe rostiger Nägel aussahen. In der linken Hand hielt sie einen ramponierten Teddybär mit unheimlichen Glasaugen, dem ein Ohr fehlte. Er sah aus, als wäre er auf der Straße angefahren worden.
»Weißt du nicht, dass man nicht mit Fremden reden sollte, Kleine?«, fragte Karl.
»Und was ist mit dir?
Du
redest ja auch mit einer Fremden«, konterte das kleine Mädchen wie aus der Pistole geschossen. »
Na?
Oder etwa nicht?«
»Ist ein Argument. Aber ich bin älter als du.«
Das Mädchen dachte offenbar gründlich über diese Bemerkung nach, dann hielt sie plötzlich das Plüsch-Unfallopfer vor Karls Gesicht. Karl roch Hundepisse und Moder in dem räudigen Fell des Teddybären.
»Aber so alt wie ich bist du nicht«, sagte der Bär, ohne dabei die bizarren, zehenähnlichen Lippen zu bewegen.
»Oh, ein Mittelsmann? Da könnte sich ja selbst Richard Nixon noch eine Scheibe abschneiden, Kleine«, sagte Karl, der mitten auf der Straße stand, mit einem Plüschbären redete und sich dabei wie ein
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