Die Scanner
Tasse Irgendwas-Aroma. Die Nachtschicht wahrscheinlich. Ultranetz schlief nie.
Ich wollte Nomos auf keinen Fall in die Arme laufen und ging durch das Treppenhaus. Etage für Etage stolperte ich die Stufen hinunter. Die Bewegung vertrieb die üblen Nador-Geister. Endlich wieder im Freien, waren Schmerzen und Übelkeit vergessen. Ich setzte die Mobril auf und entdeckte 23 Kontaktversuche. Alle von Jojo. Die Brille zeigte drei Uhr nachts, und ich wollte ihn nicht wecken. Mit Sicherheit schlief er seinen Rausch aus. Was ich brauchte, war ein sehr frühes Frühstück, ein frisches Hemd und mein Bett.
Jojo weckte mich gegen zehn Uhr. Ich hatte in einem der 24-Stunden-Märkte ein billiges T-Shirt gefunden und mich in einen Schnellimbiss gesetzt. Nach zwei pappigen, lauwarmen Zonenburgern hatte ich die Heimreise angetreten. Und war noch in den Kleidern auf meinem Bett eingeschlafen.
»Bist gestern ja früh abgehauen«, sagte Jojo munter.
»Sehr weit bin ich nicht gekommen.«
»Bis wohin denn?«
»Kantinen-Toilette.«
Er lachte und wollte mich noch zwei Stunden schlafen lassen.
Ich bekam die Augen nicht mehr zu, sondern dachte an die Nacht. Als mir das Gespräch zwischen Nomos und dem Unbekannten wieder einfiel, schrak ich auf. Nomos und der andere hatten irgendetwas von zwölf Uhr mittags gesagt. Nur welcher Mittag?
Was immer da geschehen sollte, eines war klar: Nomos wollte nicht mitmachen. Ich konnte mir keine noch so seltsame Ultranetz-Entscheidung vorstellen, bei der Nomos nicht dabei sein würde. Die Sache war so geheim, dass nur ein Ort ohne Mobril-Verbindungen für das Gespräch in Frage gekommen war. Ich konnte das alles nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen.
Während ich an meine Zimmerdecke starrte, meldete sich Jojo wieder. »Halt dich fest.«
Normalerweise folgte bei so einem Satz die Weiterleitung eines Ultranetz-Filmes aus seinem Abo.
»Wir haben einen neuen Teamleiter«, sagte Jojo.
»Ein Witz, oder?«
»Nein! Die Geschichte ist tragisch.«
Jojos Stimme klang ungewohnt ernst, und ich richtete mich im Bett auf.
»Nomos ist heute auf dem Weg zur Arbeit verunglückt.«
Mein Kopf pochte. Die Nador-Geister kehrten zurück.
»Er ist angefahren worden. Starb angeblich sofort. Du kannst auf Ultranetz den Film der Ambulanz …«
»Nein danke.«
»Den Film des Einäscherungs…«
»NEIN!«, rief ich.
»Verstanden. Die Polizei fahndet nach dem Fahrer. Der ist geflüchtet.«
Jojo hatte all das von einem Freund aus der Programmier-Abteilung erfahren. Der bastelte bereits an einer Animation für die Trauer-Botschaft an uns Mitarbeiter.
»Wir können uns bei mir mit ein paar Animatoren-Filmchen ablenken«, schlug Jojo vor.
Mehr war seiner Meinung nach nicht notwendig. Das mit Nomos ging uns nicht allzu nah.
»Danach müssen wir wieder an die Quote denken! Die Abmahnung, du weißt schon.«
Klar, wusste ich. Aber wenn ich mich nach dieser Nacht und dieser Nachricht mit jemandem sofort treffen wollte, dann nicht mit Jojo. Ich dachte an Arne Bergmann. Die Märchen des alten Mannes wurden Wirklichkeit.
Das Nador
Als ich mein Zimmer verließ, machte die Mobril auf sich aufmerksam. Jojo kontaktierte mich. Ich hatte die Brille gerade auf das Bett geworfen. Meine Reise zu Arne wollte ich ohne sie antreten.
»Ein neuer Film von Jojo«, teilte mir die sanfte Stimme mit. Ich setzte mich auf den Bettrand und startete Jojos Film. Ich rechnete mit der Nomos-Trauerbotschaft des Konzerns. Der Verkündung des tödlichen Unfalls. Wobei ich nach dieser Nacht in der Zentrale daran zweifelte, ob es das wirklich war, ein Unfall.
Nomos hatte immer zu 1000 Prozent hinter Ultranetz gestanden. Er gehörte zu den Teamleitern der ersten Stunde. Er arbeitete Tag und Nacht für den Konzern. Morgens ab sechs konnten wir ihn im Büro für Fragen erreichen. Angeblich verließ er dieses Zimmer selten vor Mitternacht.
Er wollte täglich von uns Berichte, egal wie früh wir anfingen oder wie spät wir aufhörten. Nomos gehörte für mich zum Konzern wie Arne zur Büchergilde. Deswegen verstand ich die Diskussion in der Nacht nicht. Bei was hatte der skrupellose Nomos auf einmal Skrupel?
Ich hoffte, Arne konnte mir das alles erklären. Zumindest seine Version der Dinge. Und die hatte vermutlich mit dem E-Anschlag im 5. Quartier zu tun. Meine Reise in die C-Zone musste warten. Die Trauerbotschaft wollte ich sehen.
»Mobril. Film von Jojo. Start.«
Zuerst sah ich eine Matratze mit blauem Bettzeug. Um eine Trauerbotschaft
Weitere Kostenlose Bücher