Die Scanner
des Konzerns handelte es sich garantiert nicht. Die Bilder waren leicht verschwommen, eine amateurhafte Aufnahme. Ich regte mich über so was immer auf. Egal wer diesen Film mit seiner Mobril gemacht hatte, er hatte nicht über Perspektive und Belichtung nachgedacht. Nur eine E-Kerze flackerte auf dem Boden.
Eine Frau trat ins Bild, an ihrer Hand ein Mann. Beide waren nackt.
Wieso schickt mir Jojo so etwas?
Nach ein paar Sekunden wusste ich, wieso. Der nackte Mann in dem Film nannte die nackte Frau Melli.
»Mobril. Film von Jojo. Stopp.«
Melli? Ich ließ die Sequenz erneut laufen. Tatsächlich. Bei der schlechten Bildqualität hatte ich sie nicht sofort erkannt. Ich hatte schon Dutzende Filme von ihr gesehen, die sie Jojo zugeschickt hatte. Melli kauft im NEUDI ein. Melli räumt ihr Zimmer auf. Melli lasert sich im Badezimmer die Augenbrauen. Melli macht dies, und Melli macht das. Und nun Melli mit einem anderen Jungen im Bett.
Jojo hatte den Film an all seine 19000 Freunde geschickt. 250 von ihnen stellten ihn auf Ultranetz. Wie lange hatte Jojo ihn schon? Bei unserem Gespräch vor ein paar Stunden hatte ich ihm nichts angemerkt. Sekündlich erschienen nun neue Kommentare auf Ultranetz. Ich öffnete keinen von ihnen. Jojo wartete sicher auf mich. Er brauchte mich. Real.
»Mobril. Kontakt. Jojo«, sagte ich unterwegs mindestens ein Dutzend Mal.
Ohne Erfolg. Ich sah nur immer einen strahlenden Jojo vor mir. Mit ein paar Filmstars (die gesamte Crew von Water Man 20) tanzte er im Kreis. In ihrer Mitte loderte ein Lagerfeuer. Ein Ultranetz-Kollege hatte Jojo die Abwesenheits-Animation programmiert.
Bei mir war es keine Animation, sondern eine echte Aufnahme. Ich trieb in der Parkhalle auf der Oberfläche des Salzmeers. Dabei streckte ich die Mobril mit der einen Hand so weit wie möglich von mir weg und filmte mich selbst vor dem Staudamm.
Jojo aktivierte seine Abwesenheits-Animation ausschließlich in zwei Fällen. Entweder er suchte mit mir nach Lesern. Oder er spielte in der Oase bei einem Film mit. Sonst nie. Ich musste also dorthin fahren. Jojo war für mich schließlich wie ein Bruder. Zumindest muss es sich früher so angefühlt haben. Vor der Ein-Kind-Familie. Wir sind zusammen aufgewachsen. Manchmal habe ich mich mit ihm sogar richtig verwachsen gefühlt.
Ich erreichte die Oase nach einer halben Stunde Taxifahrt. Mein katastrophaler Kontostand spielte keine Rolle mehr. Für Metro-Gleiter hatte ich sowieso keinen Nerv.
Der Laden gehörte zu den ersten Interactive-Movie-Halls in unserer Stadt. Jojo spielte immer in irgendeinem Streifen mit, wenn er sich für zwei Stunden von der Realität verabschieden wollte.
»Mit ’ner Dosis Nador einen Film in der Oase zocken, und die Probleme lösen sich von alleine«, lautete sein Motto.
Ich rannte über den roten, abgewetzten Teppich am Eingang. Der Warteraum wirkte mit dem vielen Glas und Metall ziemlich altertümlich. Doch die Technik beeindruckte noch immer. Bis zu vier Personen konnten in den Filmen mitspielen.
Jojo lud mich einmal im Monat dazu ein. Ich konnte mir den Spaß nicht leisten. Wir zogen die schweren Mobril-Intensiv-Helme über den Kopf, schlüpften in einen Anzug voller Sensoren an Armen, Brust, Rücken und Beinen. Jojo und ich spielten in zwei unterschiedlichen Räumen. Der bewegliche Boden passte sich den eigenen Schritten, Sprüngen und Stürzen an.
Zuletzt haben wir bei einem Gangster-Film mitgespielt. Ich gehörte zu den bösen Jungs. Jojo zu den Polizisten. Ausgerechnet Jojo musste einen Nador-Schmuggler-Ring aufdecken. Ausgerechnet ich führte die Gangster-Bande an. Am Ende des Filmes lieferten wir uns eine Verfolgungsjagd auf einem Fabrikgelände in der C-Zone. Jeder hatte eine E-Pistole, sie gehörte zum Inventar jeder Interactive-Movie-Hall. Sie übertrug aber nur ganz kleine Stromstöße. Und wer keinen Herzfehler oder so hatte, durfte mitspielen. Nur am Ende tat es weh.
Jojo, der einsame Ermittler, erhielt in letzter Minute Verstärkung von einer ganzen Polizeieinheit und den Sicherheits-Scannern. Sie überwältigten mich mit Schlägen und Fußtritten. Schweißgebadet verließen Jojo und ich die Oase.
»Dein Sieg war von Anfang an so programmiert!«, fluchte ich.
»Ist doch immer so in den Filmen. Der Gute gewinnt am Ende. Du wolltest ja unbedingt Gangster spielen!«
Ich rannte zur Oase-Kasse. Der Taxifahrer wartete vor dem Eingang mit dem abgewetzten Teppich.
»Läuft bei Ihnen gerade was?«, fragte ich die
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