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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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über meine Enkelin anzusetzen. Billig zu haben war sie also auch noch. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, ihr Wohlwollen nächstes Mal mit neuen Winterstiefeln erkaufen zu müssen, aber da hatte ich den Preis ihrer Gunst zu hoch eingeschätzt.
    Diese Lehrerin fand Aminat nicht schlimm, sondern burschikos (dabei hatte sie den neuen Haarschnitt erst seit wenigen Tagen!). Ja, sicher störte Aminat ausgiebig im Unterricht, indem sie es schaffte, sämtliche Nachbarn in einem Umkreis von zwei Metern gleichzeitig unter der Bank zu treten und mit Papierkügelchen zu bewerfen. Ja, sie machte ihre Hausaufgaben nicht. Im Unterricht aufgerufen, antwortete sie aber oft richtig, wenn man bedachte, dass sie nie zuhörte. Zudem verbrachte sie viele Stunden vor der Klassentür auf der Heizung, als Strafe für die Störungen. Und sie verdarb den Mitschülern den Appetit aufs Kantinenessen, indem sie es mit Exkrementen verglich.
    Ich schnalzte mit der Zunge. Diese Lehrerin hatte aus irgendeinem Grund Angst vor mir. Sie trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte und sagte, Aminat lege das aufsässige Verhalten eines intelligenten, aber vernachlässigten Kindes an den Tag. Und sie singe sehr gern.
    »Kaputte Familien haben wir hier ganz oft«, sagte Lehrerin.
    Ich unterbrach sie. Aminats Mutter, meine geliebte Tochter Sulfia, sei krank gewesen, sagte ich. In dieser Zeit hätte ich mich darauf verlassen, dass die Schule ihrem Erziehungsauftrag nachgehen würde, eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt hatte. Ich ließ fallen, wo Kalganow arbeitete. Ich versprach ihr, dass Aminat ein ganz anderes Kind werden würde. Und was Frechheiten anging – bei mir war noch kein Kind frech geworden, sagte ich.
    Ich bat die Lehrerin um ihre Telefonnummer. Sie wurde immer verlegener. Dann riss sie ein kariertes Blatt aus einem Heft aus. Ich hoffte, es war nicht Aminats Heft. Sie schrieb ihre Nummer darauf und nebendran den Namen – Anna Nikolaewna. Ich steckte das Blatt ein. Ich hätte eine viel kleinere Schachtel mitbringen sollen.
    Ich hielt mein Wort. Aminat wurde ein anständiges Mädchen. Sulfia war noch krankgeschrieben, obwohl sie kaum krank war, eher faul. Ich ging dagegen vor. Ich ordnete an, dass sie Aminat jeden Tag von der Schule abholte. Ich schrieb Sulfia einen Wochenplan. Zu Hause durfte Aminat eine halbe Stunde spielen und setzte sich dann an die Hausaufgaben. Am Abend kam ich dazu. Ich aß Sulfias Bratkartoffeln, die entweder angebrannt oder roh waren, und kontrollierte Aminats Hausaufgaben. Und für jeden Sonnenblumenkern, den ich in Aminats Umkreis fand, musste sie zwanzigmal »Ich will keinBauerntrampel sein« in ein speziell dafür vorgesehenes Heft schreiben.
    Aminat konnte keine einzige Grammatikregel aufsagen, schrieb aber alles richtig. Die Rechtschreibung war ihr angeboren: Sie machte einfach keine Fehler. Was sie dagegen machte, waren jede Menge Kleckse und Fettflecken. Ihre Schrift war fürchterlich.
    Sie merkte nichts davon und hielt mir ihre Hausaufgaben stolz unter die Nase – sie hatte sich schnell daran gewöhnt, dass ich alles überprüfte. Sie gewöhnte sich ebenso schnell daran, dass ich ihr schlampiges Blatt aus dem Heft riss und ihr befahl, alles neu zu schreiben. Am Anfang waren es viele ausgerissene Seiten, bis sie begriff, worauf es mir ankam. Sie verbesserte sich rasch.
    Aminat war erstaunt, als sie ihre erste Fünf, die Höchstnote, nach Hause brachte. Sie hatte noch nie eine gehabt. Am nächsten Tag hatte sie eine weitere Fünf. Nach zwei Wochen bekam sie eine Vier – und war enttäuscht. An diesem Nachmittag waren ihre Hausaufgaben schon beim ersten Mal tadellos. Sie wollte nicht mehr schlecht sein.
    Sulfia ging wieder zur Arbeit. Ich besuchte sie nicht mehr jeden Tag. Jetzt lief alles gut, und ich wollte die letzten Jahre meiner Jugend und Schönheit auskosten.

[Menü]
    Ich war ja eher unerfahren
    Ich beschloss, dass ich bereit war. Jetzt konnten mich Männer auf der Straße ansprechen. Ich hatte gemerkt, dass viele es gern wollten. Ich hatte früher immer ein Gesicht aufgesetzt, das es ihnen unmöglich machte. Selbst der dümmste Mann erkannte, dass ich nicht antworten würde. Ich war schön, aber nicht für ihn. An diesem Tag aber legte ich einen Schalter um.
    Der erste Mann sprach mich im Bus an. Er stand für mich auf, damit ich mich setzen konnte (Männer standen immer für mich auf, wenn ich ein öffentliches Verkehrsmittel betrat). Früher hatte ich immer nur genickt und ihn sofort

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