Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
Vom Netzwerk:
geheiratet. Schmutzige Wäsche lag nicht mehr herum, der Boden war sauber, und auch die Batterie ungespülter Milch- und Kefirflaschen war verschwunden.
    In dieser Wohnung gab es endlich eine Hausfrau, ein Familienoberhaupt und meine Vertretung in Personalunion. Es war meine achtjährige Enkelin Aminat.
    Wenn sie zu Hause war, ging sie immer irgendeiner Arbeit nach und trällerte dabei Lieder aus Kinofilmen. Man musste ihr kaum Anweisungen geben, weil sie sich so viel abschaute. Sie sammelte leere Plastiktüten, spülte sie im Waschbecken aus und hängte sie an die Heizung zum Trocknen, als hätte sie noch nie etwas anderes gemacht. Sie warf keine Lebensmittel weg. Wenn die Wurst im Kühlschrank grünlich zu werden begann, schnitt Aminat die schlechten Stellen ab, kochte die Wurst kurz auf und briet sie danach in der Pfanne – ich hätte es kaum routinierter machen können.
    Es war klar. Ein Kind brauchte Verantwortung. Vielleicht hatte ich das bei Sulfia falsch gemacht: Ich hatte ihr aufgrund ihrer Schwäche viel zu viel abgenommen. Aminat begrüßte jetzt jeden Besuch mit einem lauten »Stiefel ausziehen, ich hab grad geputzt!«. Selbst ihre Stimme veränderte sich, und sie stellte sich beim Sprechen oft in eine ganz bestimmte Pose. Sie erinnerte mich unangenehm an irgendjemanden. Mir fiel aber nicht ein, wer das sein könnte. Ich fragte Sulfia.
    »Sie macht dich nach«, sagte Sulfia.
    Ich dachte an meine Kindheit. Ich war immer hungrig gewesen, hatte nur ein Kleid und eine Strumpfhose, und wir hatten zu viert in einem Zimmer gewohnt, das war der bessere Teil meiner Kindheit. Im Vergleich dazu war Aminat verwöhnt.
    Ich erfüllte meinen Teil der Vereinbarung, kurz bevor drei Monate abgelaufen waren.
    Aminat hatte kein einziges Mal darüber gesprochen. Drei Monate waren eine lange Zeit, es waren viele Stunden mit dem Staubsauger und unzählige gespülte Teller. Aber Aminat quengelte nicht und fragte nicht nach. Später entdeckte ich in ihrem Schrank, auf der Innenseite der Tür, ein Blatt Papier, auf dem sie die Tage abstrich.
    Sieben Tage vor Ende der Frist, es war ein Samstag, holte ich Aminat ab. Ich hatte eine etwas ältere Jacke an, die ich sonst immer anzog, wenn ich zu meinem Garten aufs Land fuhr. Sulfia schälte zu Hause gerade Kartoffeln. Aminats Beispiel hatte ihr Mut gemacht – auch sie hatte ein paar Handgriffe erlernt, die ihr das Überleben ermöglichten.
    Ich sagte Aminat, sie soll sich warm und nicht zu sauber anziehen.Eine Überraschung würde auf sie warten. Ich tat geheimnisvoll. Aminat wurde ganz still, als wir vor dem Vogelmarkt aus dem Bus ausstiegen. Sie war noch nie auf dem Vogelmarkt gewesen, und hätte ich es ihr vorher angekündigt, wäre sie sicher enttäuscht gewesen, weil sie den Namen wörtlich genommen hätte.
    Vögel gab es hier natürlich auch – Kanarienvögel, Wellensittiche, Papageien, Raben und Hühner, gezüchtete und eingefangene aller Größen und Farben. Gezwitscher und Gekrächze aus Tausenden Kehlen hing in der Luft, vermischte sich mit dem Gebell und Gewinsel anderen Getiers, das an diesem Tag für ein paar Rubel den Besitzer wechseln sollte.
    »Oh!« sagte Aminat nur, und ihre Augen wurden ganz groß. »Oh! Oh!«
    Die Vögel, die in viel zu engen Käfigen flatterten, schrien schon hysterisch. Aus Kofferräumen wurden Hundewelpen und Ferkel verkauft. Gefälschte Abstammungspapiere wurden hin und her geschoben.
    Aminat sah einem Mädchen hinterher, das in einer zugebundenen Plastiktüte einen Hamster davontrug. Das Tierchen paddelte in Agonie in den Papierschnipseln, mit denen die Tüte ausgelegt war. Es würde spätestens in der Straßenbahn ersticken, mutmaßte ich, sagte aber nichts: Die Menschen sollten ihre Fehler selber machen, es reichte schon, dass ich meine eigene Familie lenkte.
    »Darf ich auch?« atmete Aminat aus.
    »Was?«
    »So einen Hamster.«
    »Ich dachte, du willst eine Katze.«
    Sie lächelte vorsichtig, mit einem Mundwinkel. Sie traute mir nicht. Wir gingen in kleinen Schritten an den Reihen vorbei. Katzen gab es in Massen: winzige piepsendeFellknäuel in Körben, Kisten und auf ausgebreiteten Decken.
    »Such dir eine aus«, sagte ich.
    Aminat zog mich an der Hand. Ihre Handrücken waren rau und aufgeplatzt, das passierte, wenn sie bei Minusgraden ohne Handschuhe herumlief oder sich die Hände nicht gut genug abtrocknete. Ich nahm mir vor, ihre Haut gleich am Abend mit Glyzerin einzureiben, damit sie wieder weich wurde.
    »Die will ich!« sagte

Weitere Kostenlose Bücher