Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
tatsächlich lernte Sulfia bereits einen Monat später wieder einen Mann kennen.
Auch dieser Mann war Sulfias Patient gewesen. Eines Tages fand ich ihn in Sulfias Küche vor. Ich hatte nach stundenlangem Schlangestehen ein Kilo Orangen für Aminat ergattert und hatte als Erstes die Sorge, der Mann würde sie ihr sofort wegfressen. Bei Sulfia hatte ich den Eindruck, wenn sie sich erst mal in einen Mann verliebt hatte, dann konnte er alles von ihr haben. Aber nicht Aminats Orangen!
Auch dieser Mann war nicht schlecht. Er war sauber gekleidet, und sein Hemd hatte ein würdevolles Muster. Allerdings war er ein Jude. Einen Juden erkannte ich schnell. Als er mich sah, stand er auf und küsste mir die Hand. Ich fand ihn galant. Er nannte seinen Namen – Michail. Ich fragte ihn nach dem Vatersnamen und dem Nachnamen. Na bitte – er hieß Rosenbaum.
Ich fand das bedenklich, aber nicht katastrophal. Juden waren Juden. Bei ihnen musste man aufpassen, aber bei wem nicht? Ich war mir sicher, dass es Sulfia nicht einmal aufgefallen war, dass er ein Jude war. Sie strahlte ihn an, verlegen wie ein kleines Mädchen, und er strahlte zurück. Er hatte sicher sofort gemerkt, was füreine tolle Wohnung Sulfia hatte. Juden waren praktisch veranlagt.
»Wo wohnen Sie noch mal?« fragte ich. Er wohnte in der Nähe des Hauptbahnhofs, das war nicht gerade um die Ecke. Arbeitete er irgendwo in der Nähe, versuchte er durch diese Bekanntschaft seinen Anfahrtsweg zu verkürzen? Wer Pech hatte und jeden Morgen ans andere Ende der Stadt zur Arbeit fahren musste, stand schon mal eine Stunde an der Haltestelle und wartete auf einen Bus, der dann so voll ankam, dass man sich nicht einmal mehr hineinquetschen konnte.
»Und wohnen Sie alleine?« fragte ich.
»Bei meinen Eltern«, sagte er freundlich.
»Und was machen Sie beruflich, wenn ich fragen darf?«
Er war Ingenieur.
»Originell«, sagte ich.
Außerdem war er Sportler. Im Winter fuhr er Ski und im Sommer kletterte er auf Berge. Ich war erstaunt, dass Juden so etwas machten. Ich hatte sie für zu vernünftig gehalten. Er hatte sich bei einer Bergtour einen komplizierten Bruch zugezogen. Sulfia hatte ihn gesund gepflegt. Allerdings zog er das Bein noch nach, aber da konnte sie wohl nichts dafür. Er hatte eine Glatze und war fast 40 Jahre alt. Das war gut. Sulfia sollte lieber keinen Mann haben, den eine andere Frau vielleicht auch noch gewollt hätte.
Ich verabschiedete mich freundlich. Im Flur warf ich Parasit von meinem Stiefel, den sie gerade anknabberte. Zu Hause angekommen, rief ich Sulfia an. Der Jude war bereits gegangen, was für ihn sprach. Ein Mann, der gleich zu lange bleiben wollte, war verdächtig. Ich sagte Sulfia, er hätte schöne Zähne. Sulfia verstand nicht, was ich ihr eigentlich sagen wollte: dass ich den Juden inOrdnung fand und ihr viel Glück mit ihm wünschte.
Ich meinte es allerdings nicht so, dass sie gleich schwanger werden sollte. Aber Sulfia war wohl noch sehr verwirrt wegen Sergej und hatte genau vor Augen, was passieren konnte, wenn sie meine Ratschläge ignorierte. Jedenfalls war sie plötzlich schwanger von einem Juden. So viel schnelle Zeugungskraft hatte ich dem Rosenbaum gar nicht zugetraut.
Sulfia war glücklich. Aminat auch. Ihre innigsten Wünsche erfüllten sich. Erst hatte sie eine Katze bekommen, und jetzt würde bald noch ein Geschwisterchen folgen. Sie begann, ihr Spielzeug auszusortieren, damit das neue Kind was zum Spielen hatte.
Es gab nur ein Problem. Rosenbaum hatte es nicht eilig zu heiraten, obwohl meine Tochter sein jüdisches Kind unter ihrem tatarischen Herzen trug. Ich stellte Sulfia zur Rede und fand heraus: Er hatte ihr noch nicht einmal einen Heiratsantrag gemacht. Schlimmer noch, seine Eltern wussten nicht, dass es sie überhaupt gab.
»Seine Eltern sind alte Leute, und die Mutter ist herzkrank«, sagte Sulfia. Sie war schon im vierten Monat.
»Er soll es seinen Eltern sagen und dich heiraten«, verlangte ich. »Sofort. Sonst verkrümelt er sich noch.«
»Das macht er schon nicht«, sagte Sulfia verträumt.
»Dann soll er dich eben heiraten.«
»Macht er schon. Später.«
»Mit solchen Sachen sollte man nicht zu lange zögern.«
Es war klar, dass ich mich schon wieder um alles kümmern musste.
»Gib mir seine Adresse«, sagte ich.
»Wieso?«
»Gib mir einfach seine Adresse.«
»Bitte nicht, Mutter.«
»Ich werde nichts tun. Ich brauche einfach nur die Adresse.«
»Nein«, sagte Sulfia.
»Sag bloß, du hast die
Weitere Kostenlose Bücher