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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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Adresse nicht?!«
    Sie schwieg – ich hatte schon wieder ins Schwarze getroffen.
    Ich suchte mir die Adresse also aus dem Telefonbuch heraus.
    Ich bereitete mich, wie immer, gründlich vor. Ich wollte nicht angreifen, ich wollte ihnen die Chance geben, meine schwangere Tochter Sulfia anständig zu behandeln. Sie sollten mich als eine Art Friedenstaube erleben.
    Ich brachte zwei Tafeln Schokolade aus Sulfias Vorräten mit – ich wollte freundlich, aber bescheiden wirken. Ich klingelte an einer holzgetäfelten Tür (so eine wollte ich auch schon immer haben) und wartete.
    Es dauerte einige Minuten, bis die Tür geöffnet wurde. Vorher sah ich einen dunklen Schatten im Türspion – irgendjemand hatte mich lange betrachtet.
    Die Tür ging langsam auf, wurde aber noch von einer Türkette gehalten. Ich sah eine Nase und ein Brillenglas, dann die ganze Frau: klein, grauhaarig, intellektuell.
    »Guten Tag«, sagte ich. »Ich bin Rosalinda Achmetowna und möchte mit Ihnen über Ihren Sohn reden. Über Michail«, fügte ich hinzu, damit sie verstand, dass ich nicht nur bluffte, sondern ihn auch wirklich kannte.
    Die Augen hinter der dicken Brille bekamen einen sorgenvollen Glanz. »Ist etwas passiert?«
    »Wie man es nimmt«, sagte ich.
    Die Kette wurde gelöst, ich durfte reinkommen.
    Rosenbaums Mutter war rundlich und angespannt. Ihre ganze kleine Person strahlte Misstrauen aus. Trotzdem gab sie mir ein Paar Pantoffeln für meine zierlichen Füße in den hautfarbenen Nylonstrümpfen und führte mich in die Küche, wo sie sich setzte und die Hände im Schoß faltete.
    Sie blinzelte aufgeregt. Ich fragte mich, womit sie jetzt rechnete. Die Situation war klar: Rosenbaum war ein jüdisches Muttersöhnchen. Hier in dieser Wohnung, die mit Teppichen ausgepolstert und mit schweren Möbeln zugestellt war, war er aufgewachsen wie eine Mimose im Gewächshaus.
    »Es geht um meine Tochter Sulfia«, sagte ich. »Sie ist ein sehr liebes Mädchen.«
    Rosenbaums Mutter blinzelte.
    »Wir freuen uns unglaublich auf das Baby«, sagte ich.
    Sie öffnete den Mund und erstarrte mit dummem Gesichtsausdruck.
    »Ich freue mich so, Sie kennenzulernen«, sagte ich. »Unsere Familien werden sich bestens verstehen.«
    Sie griff sich ans Herz.
    »Wir sind Tataren«, sagte ich. »Und Sie sind … Na ja. Mein Mann sagt, alle Menschen sind gleich. Hauptsache, sie haben Anstand.«
    Rosenbaums Mutter begann zur Seite zu fallen.
    Rosenbaum nahm es mir übel, dass seine Mutter einen Herzanfall erlitten hatte. Er gab mir die Schuld dafür. Ich gab sie ihm zurück. Er sollte erst gar nicht versuchen, mich dafür verantwortlich zu machen, dass er seinen Eltern nichts vonSulfia und seiner nahenden Vaterschaft erzählt hatte.
    Was trotzdem für ihn sprach: Nachdem Rosenbaums Mutter aus dem Krankenhaus entlassen wurde, arrangierte er sofort ein Treffen. Er wollte seine Eltern dazu bringen, uns einzuladen. Ich wollte es lieber umgekehrt. Ich wollte zeigen, dass Sulfia eine gute Familie hatte und eine gute Mutter werden würde. Ich wusste, dass Juden kritisch waren. Das hatten wir mit ihnen gemeinsam.
    Die Rosenbaums nahmen meine Einladung an. Was blieb ihnen auch anderes übrig. Aus diesem Anlass rief ich bei der Lehrerin für Russisch und Literatur an und verlangte meinen Mann ans Telefon. Ich sagte immer noch »mein Mann«, damit die Besitzverhältnisse klar waren, obwohl »mein Mann« zunehmend nach »mein Problem« klang.
    Er kam ans Telefon und sagte: »Röschen, wie schön, dich zu hören.«
    Ich kam gleich zum Wesentlichen. Ich sagte: »Kalganow, deine Tochter heiratet.«
    Er schwieg.
    »Sulfia«, half ich ihm auf die Sprünge. »Sie hat einen Mann gefunden.«
    Ich machte ihm mein Anliegen deutlich. Die Eltern des Bräutigams sollten uns besuchen, mit uns speisen und einen guten Eindruck erlangen. Von der Familie, vor allem von den Brauteltern. »Das sind ich und du«, erklärte ich. »Verstehst du?«
    »Aber«, sagte er und verfiel wieder in Schweigen.
    Ich seufzte. Dann begann ich, alles von vorn zu erklären. Ich sagte, dass es mir keineswegs darum ginge, dass er zu mir zurückkehrte. Es ging nur darum, dass das Gesamtbildstimmte. Die Juden sollten den Eindruck bekommen, dass unsere Familie komplett war. Kalganow atmete schwer in den Hörer. Bei mir war er fitter gewesen.
    »Was ist?« fragte ich gereizt. »Kommst du jetzt oder nicht? Es geht um deine Tochter.«
    »Um Sulfia«, ergänzte er.
    »Hast du noch mehr davon?« fragte ich und legte auf. Er

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