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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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sonst nichts.
    Ich hatte nur einen Fehler gemacht: Ich hatte vergessen, ihm zu sagen, dass Sulfia schwanger war. Und so kam es, dass wir eine gepflegte Unterhaltung darüber führten, dass Kinder das Glück dieser Welt waren, und Rosenbaums Eltern dazu mit abweisenden Gesichtern in ihrem Fisch stocherten, ebenso wie Kalganow, der plötzlich eine Gräte aus dem Mund zog und ausrief: »Aber jetzt haben wir ja schon eins, und das ist uns mehr als genug!«
    Sulfia wurde pinkfarben. Ich versuchte, Kalganow unter dem Tisch zu treten. Da trocknete sich der alte Rosenbaum mit einer Serviette die Lippen ab und machte merkwürdige Geräusche. Ich sah auf seinen kleinen Mund und versuchte, die Töne zu deuten. Nur allmählich wurde mir klar, dass der alte Rosenbaum gerade kicherte. Er hatte nicht vor, in Ohnmacht zu fallen über die Tatsache, dass sein Sohn ein nicht mehr ganz so junges tatarisches Mädchen geschwängert hatte. Er zeigte mit dem Finger auf die Fischreste auf seinem Teller und lachte sich schlapp. Ich hatte gerade erklärt, dass Sulfia diese komischen Frikadellen einmal die Woche zubereitete. (Ich würde es ihr bis zur Hochzeit schon irgendwie eintrichtern, dachte ich. Wenn ich wollte, konnte ich auch einem Meerschweinchen das Kochen beibringen.) Dann sagte ich, dass alle Völker Freunde waren, so ähnlich, wie Kalganow es mir am Anfang unserer Ehe immer vortrug, und Rosenbaum verlor die Fassung und fiel mit seiner grauen Mähne in den Teller.
    Seine Frau sah ihn streng an, da richtete er sich wieder auf, zog sie zu sich heran und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. Dann griff er über den Tisch, nahm meine Hand und küsste sie. Ich wusste einen Augenblick lang nicht, wie ich das finden sollte. Seine Frau blickte streng, aber nicht böse. Offenbar machte er so etwas öfter.
    Ich fand ihn galant. Kalganow war noch nie so galant gewesen. Er neigte sich gerade leicht zur Seite. Das konnte nicht wahr sein: Er war dabei, am Tisch einzuschlafen. Was hatte die Lehrerin für Russisch und Literatur bloß aus ihm gemacht? Ich kam nicht an ihn heran, um ihn unauffällig zu wecken. Er war kurz davor, schnarchend vom Stuhl zu fallen, und außer mir merkte es niemand.
    Bevor er uns alle komplett blamierte, musste etwas passieren, das die Gäste ablenkte. Mir fiel nichts Besseres ein, als unauffällig das Tischtuch anzuzünden. Ich hatte eine Streichholzschachtel in der Tasche meiner Schürze, ich brauchte sie immer für den Gasherd. Ich opferte mein schönes Tischtuch für diesen höheren Zweck, und als die Flammen darauf zu tanzen begannen und alle aufschrien und aufsprangen, fiel es niemandem auf, wie heftig ich Kalganow an den Ohren zog, um ihn zu wecken.
    Der junge Rosenbaum trug einen Eimer Wasser aus der Küche und kippte ihn über die schmutzigen Teller. Der Brand war schnell gelöscht. Kalganow sah irritiert um sich, als wüsste er nicht mehr, wo er sich befand. Das Essen war beendet.
    Rosenbaum fiel lachend zur Tür hinaus. Seine Frau zischte und schimpfte mit ihm, ich konnte es aus dem Treppenhaus hören. Bei ihnen ging es offenbar zu wie bei normalen Menschen auch.
    Rosenbaum und Sulfia heirateten an einem trüben, kalten Wintertag. Die Hochzeit war bescheiden. Es schneite ununterbrochen, und als die Brautleute das Standesamt verließen, blieben riesige Schneeflocken auf Sulfias schwarzen Haaren hängen und schmolzen nicht. Beide Familien hatten kaum Gäste eingeladen. Rosenbaums Seite fand große Hochzeiten spießig. In Wirklichkeit waren sie einfach geizig, aber ich tat, als würde ich ihrer Argumentation folgen – schließlich war Sulfia noch nicht verheiratet. Was mich anging, so hielt ich es auch für vernünftiger, nicht allzu viel Aufmerksamkeit missgünstiger Menschen darauf zu lenken, dass Sulfia schon wieder einen guten Mann abgekriegt hatte.
    Sie trug das Brautkleid, das Rosenbaums Mutter bei ihrer eigenen Hochzeit getragen hatte. Sie waren beide mickrige Frauen, aber das cremefarbene Kleid machte wohl aus jeder Spitzmaus eine Prinzessin. Sogar aus Sulfia. Ihr schwarzes Haar war hochgesteckt, die Schleppe reichte bis zum Boden, und die Augen strahlten so glücklich, dass man in Versuchung geriet, sie für hübsch zu halten. Sie hieß jetzt Sulfia Rosenbaum. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen.
    Rosenbaums Vater stand auf den Fotos hinter Sulfia und kicherte die ganze Zeit. Rosenbaums Mutter stand daneben und zog ihren Mann am Ärmel, um ihn zur Ordnung zu rufen. Ich war Kalganow dankbar

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