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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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aus Seide und Spitze, der allerdings ungetragen blieb: Aminat weigerte sich, das Kleid anzuziehen und die Rolle zu übernehmen. Nach tagelangem Streit musste ich die Geschenke als nutzlose Investition abschreiben.
    Jetzt war Aminat still und gehorsam wie ein gutes Mädchen. Das Kleid war ihr zu klein. Ich bauschte den Kragen und die Ärmel auf und drapierte Aminats schwarze, nach langer Arbeit gewellte Haare über ihren Schultern. Sie sah klein und zerbrechlich aus, jünger als sie war, bloß ihr Gesichtsausdruck verdarb alles.
    »Du musst freundlicher gucken«, sagte ich, als sie auf einem hohen Stuhl in der Wohnung des Nachbarn Platz genommen hatte.
    Der Fotograf stand am Fenster, rauchte und schnippte die Asche auf die Köpfe der Passanten. Er sagte, es mache keinen Sinn, die Kamera in die Hand zu nehmen, solange Aminat nicht aufhöre zu gucken wie ein Krokodil.
    »Ich hasse Kinder«, sagte er, und ich konnte es mir nicht verkneifen, eine von Aminats Strähnen auf meinen Finger aufzuwickeln und ruckartig dran zu ziehen.
    »So zerrst du auch immer an meinen Nerven«, zischte ich, während Aminat vor Schmerz und Wut Tränen in die Augen schossen. In diesem Moment drehte sich der Nachbar um, schrie mich an, ich soll zur Seite gehen, und hielt seinen Fotoapparat vors Gesicht.
    Er klickte eine Stunde herum, wechselte mehrmals den Film, drehte am Objektiv, probierte es von vorn und von der Seite. Immer wieder rannte ich nach vorn, piekste Aminat mit meinem Zeigefinger zwischen die Schulterblätter, damit sie sich gerade setzte, oder verwuschelte ihre Haare. Als es vorbei war, kletterte Aminat vom Stuhl und kratzte sich am Kopf. Auf ihrer Stirn standen Schweißperlen. Ihre Locken waren verklebt, und in dem viel zu knappen Kleidchen sah sie schon ziemlich dümmlich aus.
    Ich erwartete nichts Gutes, als der Nachbar an unsere Wohnungstür klopfte und mir mürrisch sagte, die Fotos seien fertig. Ich ging mit ihm durchs Treppenhaus und machte mich innerlich bereit für den Kampf um mein Geld. Als ich den ersten Blick auf die auf dem Küchentisch ausgebreiteten Rechtecke warf, dachte ich, dass es sich um Fotos von jemand anderem handelte. Diese Bilder zeigten einen Engel, noch sehr jung, mit bodenloser Traurigkeit in den tiefschwarzen Augen, mit Haaren, die wie von einem leichtenSommerwind zerzaust waren. Erst als ich mich tiefer über den Tisch beugte, um das himmlische Kleid des Engels genauer zu betrachten, begriff ich, dass es sich um Aminat handelte.
    Ich nahm ein Foto in die Hände. Es war wie Zauberei. Aminats sonst so trotziges, kantiges Gesicht erstrahlte in Melancholie. Es traf mitten ins Herz, erinnerte an die Schönheit der Schöpfung und brachte einen dazu, auf der Stelle etwas Gutes tun zu wollen. Ohne zu zögern, holte ich den Umschlag mit den Geldscheinen hervor, die ich für meinen Pelz bekommen hatte, und schob ihn über den Tisch.
    »Danke, Meister«, sagte ich.
    Ich sagte Aminat, sie solle für Dieter ein Bild malen. Sie brachte mir ein weißes Blatt mit einem kahlen Baum in der Mitte. Ich schrie sie an, sie soll sich mehr Mühe geben. Dann hatte ich eine Idee: Ich suchte in einer alten Enzyklopädie das Bild einer Tatarin in Tracht und legte das dicke Buch aufgeschlagen vor Aminat.
    »Wer läuft denn so rum?« fragte Aminat.
    »Deine Vorfahren«, sagte ich.
    Aminat beugte sich über die aufgeschlagenen Seiten und fuhr mit dem Finger über die bunten Figuren, die schrägen Hüte, die verschnürten Kleider. Die Enzyklopädie zeigte die unzähligen Völker der Sowjetunion in ihrer Nationalkleidung.
    »Sind das echte Menschen?« fragte sie.
    »Mal dich in dieser Tracht«, sagte ich.
    Wider Erwarten hatte Aminat Spaß an dieser Aufgabe. Sie zeichnete die Tracht sehr genau ab und malte sie mit Buntstiften aus. Über dem Kragen malte sie ein rotwangiges Gesicht mit dunklenSchlitzaugen und schwarzen Haaren, die zu zwei Zöpfen geflochten waren.
    »Schreib deinen Namen drunter«, sagte ich. »Und schreib obendrüber: Für Dieter. Warte, schreib’s auf Deutsch, ich zeige dir, wie.«
    Ich steckte das Bild in einen Umschlag und legte ein einziges Foto dazu. Ich hatte sie niemandem gezeigt, sondern sie gleich im Schrank unter einem Wäschestapel versteckt. Mir war klar: Diese Bilder waren wie eine Droge und sollten vorsichtig dosiert werden.
    Ich schrieb Dieters Adresse auf den Umschlag und brachte ihn zur Post.
    Es dauerte zwei Wochen, dann klingelte bei uns erneut das Telefon. Mein Umschlag war angekommen. Dieter

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