Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
klang sehr verlegen. Er bat mich, Aminat seinen Dank für das gemalte Bild auszurichten. Ich versprach es. Ich wartete, dass er etwas zu dem Foto sagte, aber Dieter erwähnte es nicht. Er hatte also alles richtig verstanden.
»Einladung«, wiederholte ich in meinem astreinen Schuldeutsch. »Einladung für drei.«
Einen Monat später rief ein unbekannter Mann bei uns an und sagte, Dieter habe ihm ein Päckchen für uns mitgegeben. Ich holte es ab. Es war eine wunderschöne Plastiktüte, auf der ein Foto echter roter Erdbeeren aufgedruckt war. Zu Hause rief ich Aminat und Sulfia zu mir und drehte die Tüte über dem Küchentisch um. Ein großer brauner Umschlag fiel heraus, in dem ich die Einladung fand. Außerdem: drei Tafeln Schokolade, ein Päckchen Haselnüsse, eine Packung Pfefferminzkaugummis, zwei Röhrchen mit krümeligen Tabletten, die fruchtig rochen (wir drehten sie hin und her, bis wir das Wort »Vitamine« auf der Seite entziffern konnten), eine Dose Trockenmilchpulver und eingroßes weißes Paket, das mit rosa Kirschblüten und einem lachenden Frauengesicht verziert war. Das deutsche Wort »Damenbinden« brachte mich auf die Idee, dass da drin möglicherweise Verbandsmaterial sein könnte.
»Guck mal, wie ansprechend die Ausländer selbst solche medizinischen Sachen verpacken«, sagte ich zu Sulfia.
Die beiden waren so sehr mit dem bunten Zeug beschäftigt, dass sie das Wichtigste übersehen hatten: einen kleinen Umschlag aus weißem Papier, in dem Deutschmarkscheine steckten.
»Überlegt, was ihr mitnehmt«, sagte ich. »Wir fliegen nach Deutschland.«
Es dauerte aber noch Monate und kostete eine Menge Geld und Nerven, bis wir alles beisammenhatten. Ich fuhr nach Moskau, 27 Stunden mit dem Zug, und stand mir an der deutschen Botschaft die Beine in den Bauch. Bis ich Visa und Flugtickets hatte, sammelte ich die notwendigen Bescheinigungen: dass keine von uns geistesgestört war, eine ansteckende Krankheit hatte oder jemals eine Haftstrafe verbüßt hatte. Ich rannte von einer Behörde zur nächsten, immer einen Vorrat an kleinen Geschenken in der Tasche.
Unser letztes Geld gab ich für Souvenirs aus. Ich telefonierte mit Freunden und Bekannten und sammelte Sachen, über die sich in Deutschland, wie ich ahnte, jeder freuen würde: bemalte Holzlöffel in allen Größen, gusseiserne russische Fürsten, Anstecker mit schönen Zeichentrickmotiven.
Wir packten zwei große Koffer und umwickelten sie mit Wäscheleine, damit sie nicht auseinanderbarsten. Es war fast 15 Jahre her, dass diese Koffer das letzte Mal in Gebrauch gewesen waren. Damals waren wir ans Schwarze Meer gefahren.
Ich war ein bisschen aufgeregt und vor allem sehr müde. Kalganow fuhr uns zum Flughafen. Ich sah aus dem Autofenster in den Regen und hatte keine Lust, jemals wieder zurückzukehren.
Kalganow trug tieftraurig unsere Koffer. Sulfia wollte ihm helfen, aber ich hielt sie zurück.
»Wir bringen dir was mit«, sagte ich, um ihn aufzumuntern.
»Nicht nötig, Röschen«, sagte er. Er küsste mich, beugte sich umständlich zu Aminat hinunter, nahm eine schluchzende Sulfia in die Arme. Sie ging mir auf die Nerven, und ich sagte, jemand wie sie darf höchstens in den benachbarten Stadtteil reisen.
Ich fühlte mich leer und erschöpft und versuchte, mich mit der Vorstellung der Winterstiefel aufzumuntern, die ich mir in Deutschland als Erstes kaufen wollte.
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Das Land, das uns nicht besiegt hatte
Sulfia und Aminat waren noch nie geflogen, und auch bei mir lag diese Erfahrung dreißig Jahre zurück. Wir waren aufgeregt wie die Kinder, zumindest Sulfia und ich. Alles erschien uns wie Zauberei, vor allem die Stewardessen und die Anschnallgurte. »Guck, guck!«, rief Sulfia die ganze Zeit. Sie deutete auf das Bullauge, in dem aber immer nur das Gleiche zu sehen war: Wolken, weiß wie Zuckerwatte. Aminat schwieg und sah mit schmalen Augen vor sich. Ihre Katze Parasit hatte die Hektik des Kofferpackens genutzt, um aus der Wohnung zu schleichen, und war bis zur Abreise nicht wieder aufgetaucht. Offenbar war das Tier intelligenter, als ich gedacht hatte.
Wir landeten in Moskau. Bis zum Weiterflug mussten wir anderthalb Tage warten.
Ich hatte gehört, dass in Moskau in der Gorki-Straße ein neues Restaurant geöffnet hatte, vor dem immer riesige Schlangen standen. Wir fuhren mit der Metro dahin, und es war wahr: Wenn man am Kopf der Menschenschlange stand, konnte man ihr Ende nicht mehr sehen. Wir stellten uns natürlich an. Ich
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