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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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sollte. Aber alles war sehr sauber. Dieter zeigte uns einen Raum, in dem ein Tisch mit einem echten Computer stand, eine Couch und daneben eine Luftmatratze.
    Wir begriffen sofort, dass wir hier schlafen sollten.
    »Zwei Personen«, sagte Dieter. »Und Aminat – hier.« Er deutete mit der Hand ins Innere der Wohnung.
    »Was sagt er?« fragte Aminat angespannt.
    Keiner antwortete ihr.

[Menü]
    Ihm fehlte eine Frau
    »Euer erstes Essen im Westen sollten Hamburger sein«, sagte Dieter.
    Wir setzten uns an den Tisch – weiße Teller, graues Besteck, geblümte Papierservietten – und besahen uns einen Teller mit Fleischklopsen, einen weiteren mit durchgeschnittenen Brötchen, mit Tomaten- und Gurkenscheiben, zerrupften Salatblättern und eine Flasche mit etwas, das wir am Tag zuvor bei McDonald’s kennengelernt hatten: Ketchup. Es sah aus, als wäre Dieter mit dem Kochen nicht fertig geworden. Ihm fehlte offensichtlich eine Frau.
    Ich sah zu, wie Dieter ein Brötchen nahm, aufklappte, eine Frikadelle hineinbettete und mit Ketchup beträufelte, das rohe Gemüse darauf häufte, das Brötchen wieder zuklappte. Und dieser Mensch hatte irgendetwas an meinem vorzüglichen Essen auszusetzen gehabt! Er führte das Monstrum zu seinem Mund, riss ihn so weit auf, dass man seine Goldkronen sehen konnte, und dann biss er ab. Der Salat knackte zwischen den Zähnen, und der Tomatensaft schoss in unsere Gesichter.
    Ich wechselte Blicke mit Sulfia, dann nickte ich Aminat zu. Wir nahmen uns alle gleichzeitig ein Brötchen und klappten es auf. Wir versuchten, Dieter nachzuahmen, griffen mit den Händen in die Teller, stapelten das Gemüse und bespritzten es mit Ketchup. Aminat konnte ihren Mund gar nicht so weit aufreißen, um abbeißen zu können, und nahm ihr Brötchen wieder auseinander.
    Nach einer Zeit, die uns angemessen erschien, sagten wir »Danke«. Jede von uns hatte noch Reste auf ihrem Teller, nur die Brötchen hatten wir gegessen, denn wir hatten großen Hunger.
    Dieter begann, die Teller abzuräumen. Ich nickte Sulfia zu. Sie sprang auf, um ihm zu helfen. Das irritierte Dieter. Sulfia band sich schon die Küchenschürze um, sie wollte das Geschirr spülen. Zu früh. Dieter versuchte ihr die Schürze abzunehmen. Sie kamen in Körperkontakt. Schließlich setzte sich Sulfia wieder hin, und Dieter stellte einen neuen, großen Teller auf den Tisch, bei dessen Anblick Aminat endlich zu lächeln begann.
    Auf dem Teller lagen mehr Süßigkeiten, als sie in ihrem ganzen Leben gesehen hatte. Kleine Tafeln Schokolade, in buntePapierchen eingewickelt, quadratisch und rund in Goldfolie, kleine Schachteln, eine davon packte Aminat sofort aus – bunte Tabletten fielen heraus, die ebenfalls aus Schokolade waren, lange Riegel, die mit einer dicken, süßen Creme gefüllt waren, Nüsse in Schokolade und Rosinen in Schokolade, selbst Äpfel in Schokolade, Kekse, mit und ohne Schokolade, merkwürdiges geliertes Zeug, Bonbons, Waffelröhrchen …
    Aminat benahm sich daneben. Sie hatte auch einfach großen Hunger nach diesem ungenießbaren Essen. Sie griff mit beiden Händen zu. Wir saßen wie versteinert da, während sie sich die Süßigkeiten in den Mund stopfte, hektisch, verzweifelt darüber, dass sie es nicht schaffen würde, alles sofort und gleichzeitig zu probieren.
    »Langsam, langsam«, flüsterte ich, aber Aminat hörte mir nicht zu.
    »Und, ist das gut?« fragte Dieter auf Russisch.
    Sie sah ihn an, den Mund voll, das Kinn verschmiert, und nickte widerwillig.
    Ich erklärte Dieter, dass Aminat erst mal nicht auf der Couch im Wohnzimmer schlafen würde, sondern mit mir im kleinen Zimmer. Ins Wohnzimmer würde sich Sulfia legen. Ich machte klar, dass er von jetzt an nicht mehr der Herr im Haus war. Die Verteilung der Schlafplätze war meine Aufgabe.
    Aminat fiel der Länge nach auf die Luftmatratze. Sie war so müde, dass sie sich nicht einmal die Zähne putzen konnte. Ich zog sie mit Sulfias Hilfe aus und deckte sie zu, während Dieter in der Tür stand und zusah.
    Im Gegensatz zu Aminat konnte ich lange nicht einschlafen. Und kaum hatte ich das Gefühl, gerade eingenickt zu sein, hörte ich einschreckliches Geräusch. Aminat kniete auf der Matratze und würgte, und Erbrochenes spritzte umher. Es waren Mengen, die ich nicht für möglich gehalten hatte. Während ich noch überlegte, ob ich mich gerade in einem Alptraum befand, schaute Sulfia ins Zimmer und reagierte blitzschnell. Sie hielt Aminats Kopf über unseren Koffer, dessen

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