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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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wechselte mich mit Sulfia ab: Die eine hielt die Stellung, die andere ruhte ihre schmerzenden Beine auf einer Parkbank in der Sonne aus. Nach dreieinhalb Stunden waren wir am Ziel. Wir studierten die bunten Bilder der Speisen, die vergrößert an der Wand hingen, sprachen die Namen nach, die wir noch nie gehört hatten. Wir bestellten dünn geschnittene, knusprige, luftige Kartoffeln, Fleisch in einem unglaublich weichen Brötchen, heiß gebackene Teigtaschen mit Apfel- und Waldbeerfüllung. Alles war raffiniert in Papier eingewickelt und dazu noch in kleine Pappschachteln gesteckt. »Es ist ein sehr gutes Restaurant«, sagte ich zu Sulfia.
    An einem Stehtisch schälten wir unser Essen aus der Verpackung. Binnen kurzer Zeit waren alle Schachteln leer. Ich packte zwei davon in meine Tasche, sie sahen so praktisch aus. Als wir das Restaurant verließen, mussten wir an einer Frau vorbei, die »Danke für Ihren Besuch und auf Wiedersehen!« sagte.
    Sulfia lief vor Verlegenheit gegen die Wand, und selbst mir fiel darauf keine gute Antwort ein.
    Als wir schon ein paar Meter gelaufen waren, drehte ich mich um, sah auf die große Warteschlange derjenigen, die noch auf den Eintritt in diesen Genusstempel warteten, und hatte das Gefühl, gerade den Westen geschmeckt zu haben.
    Wir flogen von Moskau nach Frankfurt am Main. Es war nicht mehr so aufregend. Aminat schaute still aus dem Bullauge. Sie war müde, wir waren in Moskau viel zu Fuß unterwegs gewesen, und sie hatte immer wieder Bauchschmerzen gehabt.
    In Frankfurt war die Luft wärmer als bei uns. Ich verstellte meine Armbanduhr.
    »Jetzt leben wir nach der deutschen Zeit«, sagte ich.
    Unsere Koffer waren unterwegs nicht geklaut worden. Vor der Passkontrolle klopfte mein Herz so stark, dass ich Angst hatte, es könnte mir aus der Brust springen. Ich hatte Sorge, dass mit unseren Pässen oder Visa irgendwas nicht stimmte.
    Ein junger Mann in schicker Uniform schlug meinen Pass auf. Seine Hände waren schön und gepflegt wie bei einer Frau. Er betrachtete das holografische Visum, blätterte noch mal um, sah auf mein Foto und dann auf mich. Ich spürte, wie mein Lächeln gefror. Er zwinkerte, schlug den Pass zu und reichte ihn mir. Ich griff danach, nahm Sulfia am Ellbogen (ihr Pass hatte den Grenzler deutlich weniger interessiert), packte Aminat mit der freien Hand, und dann liefen wir noch einige Meter und waren endlich nach Deutschland eingereist.
    Ich konnte es kaum glauben: Wir waren im Ausland, wir alle drei, und zwar nicht in irgendeinem, sondern in Deutschland. In dem Land, das uns nicht besiegt hatte. Ich war stolz auf mich. Aminat war gerade mal zwölf und hatte bereits eine Landesgrenze überquert, etwas, worüber ich bis jetzt nur in Büchern gelesen hatte.
    Es war alles sehr sauber. Unsere Schuhe spiegelten sich im Fußboden.
    Wir liefen mit unseren Koffern auf Dieter zu.
    Erst hatte ich ihn gar nicht erkannt. Sulfia sah ihn als Erste und deutete mit dem Finger – eine Geste, die ich inzwischen sogar Aminat abgewöhnt hatte.
    Sein Gesicht war runder geworden. Sein Haar war kurz, und die Kopfhaut schimmerte rosa durch. Der Bauch hing über dem Gürtel.
    » Guten Tag !« rief Sulfia, rannte vor und fiel ihm um den Hals.
    Aminat und ich, wir sahen zu, wie er Sulfia den Rücken tätschelte und versuchte, sie abzuschütteln.
    Er kam nicht auf die Idee, uns beim Kofferschleppen zu helfen. Er lief an unserer Seite und wies uns mit Handbewegungen den Weg. Zwischendrin versuchte er, Aminat an die Hand zu nehmen, was ihm nicht gelang.
    Deutschland stellte sich als grün und menschenleer heraus. Wir fuhren lange mit dem Auto. Verließen die Schnellstraße, kamen auf andere Straßen, die schmaler und kleiner waren, fuhren an Hügeln und Wäldern vorbei.
    »Hier«, sagte Dieter, als wir vor einem mehrstöckigen grauen Haus hielten.
    Dieter gehörte offenbar nicht das ganze Haus, sondern nur eine Wohnung im obersten Stock. Wir betraten sie, und ich sah mich sofort um.Das Erste, was mir auffiel, waren die schrägen Wände. Sie sahen aus, als würden sie einem gleich auf den Kopf fallen. Ich stellte den Koffer ab und ging ins Innere der Wohnung. Es war schwer zu sagen, wo ein Zimmer aufhörte und das nächste begann. Es gab keine Türen.
    Ich passierte einen Torbogen und stand in der Küche. Alles war kahl. Keine Teppiche, wenig Möbel. Es sah aus, als wäre die Wohnung gerade bezogen worden und die Umzugskisten noch nicht ausgepackt. Ich fragte mich, wie man hier leben

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