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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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unordentlich gekleidet waren.Ich achtete immer darauf, dass Aminat mit geflochtenen Zöpfen und in einer gebügelten Hose mit einem gebügelten Pullover aus dem Haus ging. Damit fiel sie auf.
    Es war einfach, Aminat aus dieser Schülerflut herauszufiltern. Sie war nicht nur die Einzige mit gebügelten Kleidern, sondern auch immer allein, und sie bewegte sich in einem anderen Tempo als die Kinder um sie herum. Ihr Gesicht warnte jeden davor, sie anzusprechen.
    Ich fragte mich, was sie eigentlich noch wollte. Da war sie schon in Deutschland. Da hatte sie schon neue Stifte und T-Shirts. Sie wurde fast jeden Morgen mit dem Auto zur Schule gebracht. Und trotzdem guckte sie so.
    Ich nahm sie zur Seite und sagte, so geht das nicht. Dieter hatte Sulfia noch nicht geheiratet. Zwar waren sie gemeinsam auf dem Standesamt gewesen, aber nur, um die Liste mit den nötigen Dokumenten abzuholen. Er konnte noch locker abspringen, denn noch war er nicht gebunden, außer durch sein Wort, und das galt bei einem Mann weniger als gar nichts. Wenn Aminat sich weiter so verhielt, dann würde uns Dieter womöglich noch zurückschicken und sich irgendwo anders ein liebes, anhängliches kleines Mädchen suchen.
    Das alles erklärte ich Aminat an einem Abend in unserem gemeinsamen Zimmer. Ich schlief auf der Couch und sie weiter auf der Luftmatratze. Ich hatte ihr angeboten, neben mir zu schlafen, aber sie wollte nicht. Sie wollte nicht in meine Nähe. In Dieters natürlich noch weniger. Aber sie gab sich auch Mühe – denn ich hatte ihr gesagt, ohne Dieter darf ihre Mama nicht nach Deutschland zurück. Und dann kann sie nie gesund werden, sagte ich. Kurz vor unserer Abreise hatten wir nämlich erfahren, dass Sulfia krank war. Ihr Körper zerstörte einigeOrgane von innen. Deswegen war sie so oft müde und musste Medikamente nehmen. Ich sagte Aminat, dass Sulfias Gesundheit jetzt nur von ihr abhing.
    Ich erlaubte Aminat nicht, an ihre Freunde zu schreiben. Wer weiß, vielleicht müssten wir ja doch noch zurückkehren. Die Freunde sollten lieber nicht erfahren, dass wir im reichen Deutschland gewesen waren. Anrufen ging schon gar nicht, weil es zu teuer war.
    Aminat schrieb Briefe an Sulfia. Ich las sie, bevor ich sie in den Umschlag steckte. Aminat schrieb viele Briefe, jeder begann mit den Worten: »Liebe Mama, wie geht’s dir? Mir geht’s gut.« Ich sammelte sie und verschickte mehrere zusammen in einem Umschlag, um Porto zu sparen.
    Dieter sagte, dass er nicht in der Lage sei, uns zu ernähren. Er ging ja auch nicht zur Arbeit, sondern schrieb immer an seinem Computer und wälzte irgendwelche Bücher. Er schrieb wohl auch selber welche: Ich hatte im Schrank einige entdeckt, auf denen sein Name stand. Aber wahrscheinlich wollte sie niemand kaufen.
    Ich sollte auch mal was tun, sagte Dieter. Aber gerne, antwortete ich, ich habe mein Leben lang hochqualifiziert gearbeitet. Dieter sollte seine neue Familie ernähren, also Aminat und Sulfia, ich würde es schon irgendwie ohne ihn schaffen. Hier gab es sicher auch pädagogische Berufsschulen.
    Als ich das Dieter sagte, lachte er sehr. Ich dachte sogar, er hätte so eine Art Nervenkrankheit, so schrecklich lachte er. Ein paar Ticks waren mir nämlich bei ihm schon früher aufgefallen. Jetzt sagte er: »Du kannst doch gar kein Deutsch.« Natürlich konnte ichDeutsch. Ich versuchte es Dieter in seiner Sprache zu erklären, aber er wollte mich nicht verstehen, so wie ich ihn auch oft nicht verstehen wollte. Dann erzählte er mir etwas von meiner Aufenthaltserlaubnis ohne Arbeitserlaubnis und sagte, er habe eine großartige Idee für mich.
    Zwei Tage später hatte ich Arbeit.
    Dieter drückte mir einen Zettel mit einer Adresse in die Hand, einen Stadtplan und 6,80 Mark für den Bus. Ich fuhr zwei Stunden vor dem eigentlichen Termin los. Ich kam schließlich niemals zu spät, zumindest nicht zu einer wichtigen Arbeit. Und es sollte meine erste Arbeit in Deutschland werden. Ich zog mich gut an, eine enge Hose, eine cremefarbene Bluse, Netzstrümpfe, neue Sommerschuhe mit hohen Absätzen. Ich steckte mein Haar hoch und betonte meine Gesichtszüge vorteilhaft mit Puder, Rouge und Lidschatten.
    Ich hatte ein wenig Schwierigkeiten mit der Adresse. Ich fragte mehrere Leute auf der Straße. Was sie mir sagten, war schwer zu verstehen, sie redeten viel zu schnell und undeutlich. Ich zeigte ihnen meinen Stadtplan, und sie fuhren mit ihren Zeigefingern die Straßen auf und ab und stießen den Nagel dort

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