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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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einen niedrigen Sessel ihm gegenüber. Sulfia sah kurz von ihren Postkarten auf und lächelte gerührt.
    »Sulfia«, sagte ich, »bring mir ein Glas Wasser.«
    Als sie außer Reichweite war, beugte ich mich über die ruhig atmende Aminat und flüsterte in Dieters Ohr: »Es wäre doch schön, wenn Aminat hierbleiben könnte.«
    Er zuckte zusammen.
    »Wenn ihre Mutter einen Deutschen heiratet, bleibt Aminat in Deutschland«, sagte ich.
    Sulfia kehrte mit einem Glas Wasser zurück. Ich stellte es auf den niedrigen Tisch vor mir. Ich hatte keinen Durst, ich war plötzlich furchtbar müde. Daher ging ich schlafen und ließ sie allein.
    Am Morgen hatte ich Migräne. Das war eine neue Plage. Ich konnte nicht einmal aufstehen. Als ich meine schmerzenden Augen aufgeschlagen hatte, war Aminat schon wach. Sie lag auf der Matratze und guckte in die Luft. In diesem Punkt ähnelte sie plötzlich ihrer Mutter. Ich musste ihr sagen, so ging das nicht. In Deutschland konnte man nicht einfach so faul herumliegen. Hier bekam man nichts geschenkt und nichts hinterhergetragen.
    Aber heute konnte ich nichts sagen, weil nicht nur jedes gesprochene Wort, sondern auch jeder Gedanke einen Schmerz in meinem entzündeten Gehirn verursachte. Ich bat Gott, jemand möge die Vorhänge für mich zuziehen.
    Aminat sah mich an. Ich versuchte nicht daran zu denken, dass ich den Moment verpasst hatte, in dem Aminat aufgehört hatte mich zu lieben.
    Ich war wie ausgeschaltet. Die Einzige, die sich für meinen Zustand interessierte, war Sulfia. Sie setzte sich zu mir und legte ihre kühle Hand auf meine Stirn. Dann brachte sie mir eine Tablette und zog die Vorhänge zu.
    Gott hatte die Angelegenheit für mich übernommen. Ich hatte ja auch schon alles vorbereitet. Jedenfalls spielten sich die Dinge so ab, wie ich sie eingefädelt hatte. Denn etwas später setzte sich Sulfia zu mir auf den Bettrand und nahm den Waschlappen von meiner Stirn, den sie erst mit kaltem Wasser getränkt und ins Tiefkühlfach gelegt und der sich inzwischen an meiner Haut aufgewärmt hatte. Sie nahm ihn in die Hand und wischte mir damit das Gesicht ab. Das störte mich.
    »Ich muss dir was sagen«, sagte sie ernst und leise. Man hörte sie kaum.
    »Sprich lauter, ich verstehe dich nicht«, sagte ich.
    Sie erhob die Stimme, aber nur für einen Augenblick. Sie sagte, dass Dieter ihr angeboten habe, Aminat dazubehalten. Sie könnte hier zur Schule gehen, und er würde sich um sie kümmern. Dass sie es für ein sehr großzügiges Angebot hielt.
    Ich richtete mich empört auf, warf die Decke beiseite und stand auf. Der Schmerz pochte in meinen Schläfen, aber ich ignorierte ihn. Ich zog mich an und klopfte an Dieters Schlafzimmertür.
    Er lag auf seinem Bett und fuhr zusammen, als ich eintrat.
    Ich war zum ersten Mal in seinem Schlafzimmer. Er schloss es immer ab,wenn er wegging und uns allein in der Wohnung ließ.
    Ich sah mich neugierig um.
    Es stand ein großes Bett in diesem Zimmer. In der Ecke war ein Bügelbrett, auf dem ein Hemd lag. An den Wänden hingen Fotos, die irgendwelche Hütten zeigten, vor denen kleine schlitzäugige Kinder spielten. Schnell fand ich auch das, was ich suchte: Aminats engelhaftes Bildnis stand auf dem Nachttisch. Wenn Dieter mit dem Kopf auf dem Kissen lag, konnte er Aminat in die Augen sehen.
    Dieter protestierte, aber ich hatte mir inzwischen angewöhnt, nur das zu verstehen, was ich wollte. »Aminat bleibt, wenn ich und Sulfia bleibt«, sagte ich in meinem astreinen Deutsch. »Sonst nicht. Sonst Aminat sofort mit mir nach Hause. Und dann zu einem anderen Mann nach Deutschland.«
    Ich setzte mich auf sein Bett und schlug ein Bein übers andere. Ich hatte schöne Beine, aber Dieter interessierte sich nicht für meine Beine. »Nett zu Sulfia«, sagte ich. »Du nett zu Sulfia. Nur so.«
    Ich lehnte mich zurück. Dieter sah angewidert zur Seite.
    »Aminat, Sulfia, Rosalinda«, wiederholte ich. »Nur zusammen.«
    Dieter hatte sich entschieden und wurde dadurch zu einem angenehmeren Zeitgenossen. Wahrscheinlich war er von seinem Mut so beeindruckt, dass ihm jetzt alles egal war. Für ein paar Tage vergaß er sogar seinen Geiz. Er ging mit Aminat und Sulfia einkaufen und kam mit einem Stapel weißer T-Shirts mit Micky-Mäusen zurück, mit Jeans und schneeweißen Turnschuhen, in denen man sichhöchstens auf die frisch geputzten deutschen Straßen trauen konnte.
    Sulfia strahlte vor Freude. Sie erlebte gerade glückliche Tage. Ich weiß nicht, wie debil man

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