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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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sogar Spurenelemente. Ich fand viele davon in den Küchen- und Badezimmerschränken. Ich füllte mir etwas ab in leere Plastikröhrchen, die ich jetzt immer dabeihatte. Wenn ich Aspirintabletten fand oder Zäpfchen gegen Übelkeit oder andere sinnvolle Sachen, dann nahm ich auch davon welche mit. So sammelte sich bei mir eine kleine Hausapotheke an, und ich fühlte mich noch zufriedener.

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    Noch nicht Deutschland
    Aminat fragte immer nach Sulfia. Da war sie schon in Deutschland, und ich war bei ihr, sie ging zur Schule, sie machte ihre Hausaufgaben mithilfe eines Wörterbuchs, sie bekam sogar ein kleines Taschengeld von mir – eine Mark die Woche. Aber trotzdem fragte sie nach Sulfia. Ob sie wiederkommen würde.
    Ich sagte, natürlich, wo soll sie auch sonst hin.
    Wir konnten nicht viel telefonieren – für Sulfia war es zu teuer, und Dieter wurde nervös, wenn wir eine ausländische Nummer an seinem Telefon wählten. Ich drohte zwar damit, dass ich mit Aminat heimfahren würde, wenn uns etwas nicht passte, allerdings hatte ich meine Zweifel, ob dieses Argument noch zog.
    Aminat war unangenehm geworden. Sie nahm zu. Noch nie war eine Frau bei uns in der Familie dick gewesen, und es entsetzte mich, dass sie die Erste sein könnte. Sie stürzte sich auf die Süßigkeiten. Kein Wunder, dass sie Pickel hatte. Jedes Mal, wenn ich sie morgens sah, dachte ich, oh mein Gott, es sind schon wieder mehr geworden.
    Natürlich kämpfte ich. Ich glaubte daran, dass irgendwo tief in ihr noch ihre alte Schönheit saß, eigentlich meine Schönheit. Ich musste sie nur hervorgraben unter dieser Schicht aus Fett und Pickeln.
    Ich führte einen beständigen Krieg gegen Aminats Pickel. Zweimal die Woche machte ich ihr ein Dampfbad. Ich kochte Wasser mit getrockneten Kamillenblüten auf und zwang Aminat, ihr Gesicht über den Topf zu halten. Danach drückte ich ihr die Pickel aus und desinfizierte alles mit Dieters Rasierwasser.
    Ich warf alle Süßigkeiten, die ich finden konnte, in den Müll. Ich strich ihr wieder das Taschengeld von einer Mark, damit sie nicht selber einkaufen konnte. Was ich nicht endgültig verhindern konnte, war, dass Dieter Aminat Süßigkeiten mitbrachte. Es war die einzige zarte Verbindung zwischen den beiden. Die bockige, unbestechliche Aminat konnte ausgerechnet Süßigkeiten nicht widerstehen.
    Meine Sorge, Dieter würde uns aufgrund Aminats veränderten Erscheinungsbildes rasch wieder heimschicken, bestätigte sich erst mal nicht. Er kreiste um sie herum wieein Kind um einen angebundenen Hund, zerrieben zwischen dem Wunsch, sich zu trauen und zu streicheln, und der Angst, dafür die Hand abgebissen zu bekommen. Da ich durch meine Reinigungsarbeit so eingespannt war, begann ich, Dieters Fähigkeiten zur Kenntnis zu nehmen, die mir zuerst entgangen waren: Dass er in der Lage war, allein einen Kühlschrank zu füllen, bei einem Kind für regelmäßige Mahlzeiten zu sorgen und für saubere Wäsche.
    Zuerst hielt ich unsere Wäsche zurück und kümmerte mich darum, wenn ich Zeit hatte. Ich wusch alles mit der Hand im Waschbecken und hängte die Sachen im Bad zum Trocknen auf. Dieter rechnete mir vor, wie viel mehr Wasser ich verbrauchte, wenn ich alles mit der Hand wusch. Ich ließ mir zeigen, wo der Wäschekorb stand und wie die Waschmaschine funktionierte. Es waren sehr viele Knöpfe, aber ich war ja nicht dumm. Unsere schmutzige Unterwäsche sammelte ich aber weiter in unserem Zimmer in einer Plastiktüte.
    Was mir klar wurde: Dieters Wohnung war noch nicht Deutschland. Plötzlich fand ich das Haus schäbig. Ich hatte ja inzwischen auch andere Häuser gesehen. Auch Dieter war kein Deutscher, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Jetzt, wo ich einen Vergleich hatte, stellte ich fest, dass einige deutsche Männer, die ich kennengelernt hatte, viel bessere Schuhe trugen.
    Auch Aminat war noch nicht die Enkelin, wie ich sie mir vorgestellt hatte.
    Erst gefielen mir die hiesigen Kinder, wie gesagt, überhaupt nicht. Die meisten waren auf den ersten Blick sehr schlecht erzogen. Dann sah ich ein bisschen genauer hin. Mein Blick veränderte sich. Es kam ein Tag, an dem ich mich dabei ertappte, dass ich in der Straßenbahn einMädchen ansah, keine Türkin, sondern ein echtes deutsches Mädchen, und es nicht mehr schlampig fand. Ich konnte mich an ihr nicht sattsehen. Das Mädchen sah so entspannt aus, so ganz anders als Aminat mit ihrem starren Gesicht und den hochgezogenen Schultern.
    Erst dachte ich, dass Aminat

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