Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
sein musste, um Dieters magere Aufmerksamkeit für echte Zuneigung zu halten. Sulfia schrieb alles, was einen befremden konnte, der anderen Kultur und Dieters zurückhaltendem Wesen zu. Immerhin erlangte sie ein paar Gramm seiner Sympathie dafür, dass sie auf Einkaufstouren nichts haben wollte. Absolut gar nichts. Auch nicht, wenn wir zu zweit unterwegs waren.
Ich ließ mir von Dieter 150 Deutsche Mark auf die Hand geben (ich fand, jede Mark, die er für unser Mädchen zahlte, war zu wenig) und führte Sulfia durch Schuhgeschäfte und Parfümerieabteilungen. Aber sie hatte kein Interesse, sie teilte nicht einmal meine Begeisterung für die erschlagende Vielfalt und Schönheit der Waren. Sie lächelte, wenn ich Joghurtpaletten im Supermarkt mit Dieters Kamera fotografierte. Ich wollte es gern Klavdia zeigen. Aber Sulfia probierte nichts an. Das Einzige, was wir für sie kauften, waren fünf weiße Unterhosen.
Ich fragte mich nicht, was Sulfia sich eigentlich dabei dachte. Dieter hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht. Er hatte sie auf die Wange geküsst. Sulfia hielt ihn für romantisch. Sie mochte ihn, und sie war glücklich. Sie fragte sich niemals, was ein Mann wie Dieter an einer Frau wie ihr finden konnte.
Es war Sulfia, die nach Hause flog, um ein paar Angelegenheiten zu klären. Mir war klar, dass man Aminat nicht allein bei Dieter lassen konnte. Zwar war er ein Feigling, aber ich traute niemandem.
Wir gaben zwei der Flugtickets zurück. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Genau das hatte ich mir gewünscht – dass ich sie nicht nutzen würde. Sulfia flog also alleine. Sie bekam genaue Anweisungen von mir: Was sie wem sagen, was sie erledigen, welche Dokumente sie herbeischaffen sollte. Dieter und Sulfia waren bereits auf dem Standesamt gewesen und hatten eine Liste an Papieren mitgebracht, die für eine Heirat notwendig waren. Heiraten war in Deutschland offenbar ein Staatsakt. Gut, das schreckte mich nicht ab. Später, wenn Sulfia zurückkam, würde ich nach Hause fliegen und schnell die restlichen Angelegenheiten klären.
Wir sagten Aminat nicht, dass sie nicht mehr nach Russland zurückkehren würde. Wir sagten ihr bloß, sie würde jetzt eben länger bleiben. Zur Schule gehen, noch ein paar hübsche Sachen kaufen, ein bisschen Deutsch lernen. Ich fragte sie nicht, wie sie das fand.
Ich war sehr stolz auf mich. Aminat war in Deutschland. Ich war an ihrer Seite.
Und Sulfia war dabei, ein drittes Mal zu heiraten.
[Menü]
Freu dich!
Ja, da waren wir nun in Deutschland, in Dieters Dreizimmerwohnung. Ich hatte eine befristete Aufenthaltserlaubnis bekommen. Als Erstes nahm ich Aminat alle russischen Bücher weg, damit sie ab jetzt nur noch auf Deutsch las, als Zweites sagte ich Dieter, er soll sie in einer Schule anmelden. Ein Kind gehörte in die Schule. Ich merkte schon: Dieter machte die Dinge gern so, wie sie sein mussten. Er wich schon von seiner Einstellung her zu weit vom richtigen Weg ab, um noch mehr Abzweigungen zu riskieren.
Allmählich gewann ich mehr Klarheit darüber, wo wir uns gerade befanden. Dieter lebte im Vorort einer Stadt, die nicht sehr groß und nicht sehr schön war. In diese Stadt fuhr ein Bus, und zwar einmal die Stunde, auf die Minute genau pünktlich. An der Bushaltestelle hing ein Fahrplan. Die Deutschen hatten solche Sachen gut geregelt.
Die Fahrt in die Stadt kostete 3,40 Mark. Viel zu teuer, wie Dieter mir erklärte. Vor allem, wenn man auch noch zurückfahren wollte. Ab und zu fuhr er selbst mit dem Auto in die Stadt, und da nahm er Aminat und mich mit.
In der zweiten Woche nach Sulfias Abreise ging Aminat in die Schule. Sie musste mit dem Bus in die Stadt fahren und noch mal in die Straßenbahn umsteigen.
Wir kauften Hefte und Stifte, und Dieter holte einen grauen Rucksack vom Dachboden. Damit, erklärte er uns, gingen die Kinder hier in die Schule. Wir blätterten die Hochglanzseiten der Hefte durch und rochen an dem neuen Radiergummi, der wie eine Erdbeere aussah.
»Freu dich«, sagte ich zu Aminat.
Aminat sah an mir vorbei.
Ab und zu holte ich Aminat von der Schule ab, um zu sehen, wie sie sich einlebte. Ich fand die Schule sofort, weil mir ein Strom schreiender Kinder entgegenkam. Die deutschen Kinder, um das einmal festzustellen, waren sehr laut. Das fiel mir schon in der Straßenbahn auf. Sie brüllten durch den ganzen Waggon. Erst dachte ich, sie würden sich gleich prügeln, aber sie lachten dabei. Ich stellte fest, dass die meisten Kinder sehr
Weitere Kostenlose Bücher