Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
sabberte und guckte in die Luft. Er starb aber nicht.
»Und die Lehrerin?« fragte ich.
»Die hat es doch mit dem Herzen«, sagte Sulfia. Ich vergaß fast, dass auch Sulfia selbst krank war, weil sie über ihre eigene Gesundheit ungern sprach. Sie sagte immer, es sei alles in Ordnung.
Aminat war sauer, und zwar auf mich. Sie ging wohl davon aus, dass ich alle Dinge auf dieser Welt lenkte. Was nicht ganz falsch war. Sie sagte zu mir: »Du bist schuld, dass die Mama nicht kommt!«
Ich erklärte ihr, wie es wirklich war: dass Sulfia nicht kommen wollte, weil Kalganow krank war.
»So wie du damals?« fragte Aminat hasserfüllt. Dabei dachte ich, sie hätte das mit Israel längst vergessen. Inzwischen wussten wir ja alle, dass Israel ein gefährliches Land war. Dort explodierten ständig Busse. Deutschland war viel sicherer, und das Klima war milder.
Hauptsache, Aminat machte ihre Hausaufgaben. Ich hatte ihr klargemacht, dass sie sehr gut in der Schule sein musste. Sie wollte doch schließlich einen guten Abschluss haben, Medizin studieren, Ärztin werden und viel Geld verdienen. Ich sagte ihr abwechselnd: »Geld verdienen« und »Ein Medikament entdecken, das Sulfia heilen kann«.
Aminat saß viel über Büchern in ihrem Zimmer, denn sie hatte keine Freundinnen. Das fiel mir irgendwann auf – dass es nicht normal war, wenn ein Mädchenimmer nur im Zimmer saß und niemals Anrufe oder Besuche kriegte. Gerade weil sie nicht so gut aussah, brauchte sie Freundinnen, sonst würde eine zweite Sulfia aus ihr werden. Ich sagte Dieter, dass Aminat Freundinnen brauchte.
Überhaupt ertappte ich mich dabei, dass ich ihn ein klein bisschen mochte. Vielleicht für seine Treue, was Aminat anging. Es gab viele Sachen, die ihn bei mir aufregten, aber bei Aminat reagierte er geduldig. Mich hatte er einmal angeschrien, als ich die Spaghetti zum Kochen in kleinere Stücke gebrochen hatte, damit sie in den Topf passten. Wenn Aminat das Gleiche machte (und sie hatte abends oft Hunger und schlich sich in die Küche und kochte Nudeln, die sie mit Ketchup und geriebenem Käse verschlang), dann sagte Dieter nie etwas, nicht einmal, dass sie weniger fressen sollte. Selbst wenn sie beim Zähneputzen das Wasser laufen ließ, anstatt es in einen Becher zu füllen und den Hahn zuzudrehen, hatte er sich unter Kontrolle – anders als bei mir.
Dabei war er wirklich ein Geizkragen. Er sparte an Licht, Wasser, Papier, Heizung und Tüten aus dem Supermarkt, obwohl die nicht einmal was kosteten. Er füllte den Müll in Einkaufstüten und sparte sich damit die schönen, praktischen Abfallsäcke. Sobald ich ein Zimmer verließ, rannte er hinterher und kontrollierte, ob das Licht auch wirklich ausgeschaltet war. Wenn es draußen etwas dunkel wurde, ließ er sofort die Rollläden runter. Damit die Wohnung nicht auskühlte, erklärte er, und damit die Nachbarn nicht in die beleuchteten Fenster gucken konnten.
Kein einziges Mal brachte Dieter eine Frau nach Hause. Er blieb nie lange genug weg, um eine Frau woanders treffen zu können, und er telefonierte niemals.Er hatte offenbar nur uns. Ihn und mich verband, dass wir das gleiche Mädchen liebten, das inzwischen abstoßend geworden war.
Dieter sagte, das sei alles normal. Aminat komme gerade in die Pubertät. Pubertät, schon dieses Wort fand ich unanständig. Dieter sagte, das passiere jedem Mädchen. Ich versuchte mich zu erinnern, wie es bei Sulfia gewesen war oder bei mir selber, und kam zum Schluss, keine von uns hatte so eine Pubertät gehabt. Man war erst ein Kind, irgendwann wurde man erwachsen. Das war doch kein Grund, um fett, hässlich oder pampig zu werden.
Dafür, sagte Dieter, war Aminat intelligent. Ich sah ihn nur stumm an. Gut, wenn er dieser Meinung war, bitte sehr. Aber das machte es nicht besser. Nur eine attraktive Frau konnte sich Intelligenz erlauben, wenn sie jemals Chancen auf einen Mann haben wollte. Dieter meinte zwar, in Deutschland sei das anders, aber das glaubte ich ihm nicht.
Auf der Straße wurde Aminat oft für eine Türkin gehalten. Ich konnte das nicht nachvollziehen. Ich mochte kleine türkische Mädchen, sie hatten schöne Kleider an und bunte Spangen im Haar. Die Älteren waren nicht mehr so schön und schick, zumindest konnte man das nicht mehr sehen unter ihrer Verkleidung. Das Türkische war dem Tatarischen auch ein bisschen ähnlich. Ich war trotzdem froh, dass Aminat sich von den Türken fernhielt. Von allen anderen aber leider auch.
Einmal kam sie nach
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