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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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ich.
    »Röschen«, flüsterte Kalganow. »Sie wollte es so.«
    »Aber warum? Ihr seid zwei alte Säcke. Und sie war jung und … hatte ihr Leben noch vor sich.«
    Jedenfalls war es nicht mehr zu ändern mit der Wohnung.Außer, ich wollte sie beide deswegen verklagen. Ich hatte das zuerst sogar vor. Ich zwang mich dazu, in Sulfias Namen, aber es fiel mir schwer: Ich hatte keine Lust. Ich war sehr müde. Sonst war ich ja nie müde. Ich schlief immer wenig: Fünf Stunden waren okay, nach sechs Stunden war ich komplett ausgeruht. Aber jetzt war mir nach Schlafen. Ich bedeckte meinen Mund mit der Hand, um nicht direkt in das aufgedunsene Gesicht der Lehrerin für Russisch und Literatur zu gähnen.
    »Ich bin müde«, sagte ich der Lehrerin. Sie sah mich an, als wäre ich wahnsinnig.
    »Dann legen Sie sich hin«, sagte sie. Ich fand es gut, dass sie mich wieder siezte. Während der Trauerfeier hatte sie immer wieder den Versuch unternommen, zu mir Du zu sagen, was ich jedes Mal abbügelte. Ich fand es unanständig, dass sie einen Moment meiner Schwäche für eine Annäherung ausnutzen wollte.
    »Ich kann mich nicht hinlegen«, sagte ich. »Ich habe, im Gegensatz zu Ihnen, viel zu tun.«
    Ich wollte Sulfias Habseligkeiten sortieren. Ihre wenigen Sachen, Kleider, Briefe, Dokumente.
    Stattdessen ging ich zu meinem Feldbett zurück und schlief wieder ein.

[Menü]
    Solange du hier bist
    Ich wachte erst am nächsten Tag auf. Ich hatte fast 20 Stunden geschlafen. In dieser Zeit hatte Kalganow, wie er mir mitteilte, immer wieder überprüft, ob ich noch atmete. »Wir dachten nämlich schon, du wärest auch tot«, sagte er. Aber da hatte er sich zu früh gefreut.
    Dann stellte ich fest, dass die Lehrerin für Russisch und Literatur Sulfias Sachen angefasst hatte. Sie hatte ihre wenigen Kleider genommen und auseinandersortiert.
    Mir blieb vor Empörung die Luft weg. »Was machst du hier, du zerrupfte Henne? Und warum berührst du mit deinen dreckigen Pfoten die Sachen meiner Tochter?«
    »Ich wollte sie waschen«, sagte sie kläglich.
    Ich schob sie aus dem Zimmer, setzte mich auf das Feldbett und nahm ein Unterhemd in die Hände. Es war grau und verwaschen und ausgeleiert, und wäre es etwas kleiner gewesen, hätte es einem Kind gepasst. Ich wischte mir damit die Tränen weg.
    Während ich mein Gesicht gegen das Unterhemd drückte, fiel mir ein, dass die Lehrerin irgendwo eine Nichte hatte. Dieses Wissen drängte sich in die Mitte meiner Gedanken durch, ich sah sie plötzlich vor mir: eine unbekannte Nichte, die ich noch nie gesehen hatte, eine kleine Schlampe mit einem Kind, ohne Mann, in einer Einzimmerwohnung mit ihren alten Eltern. Plötzlich verstand ich, warum die Lehrerin die Wäsche waschen wollte.
    Ich saß ziemlich lange da, das graue Unterhemd gegen das Gesicht gedrückt. Dann stand ich auf und packte die Wäsche in einen leeren Karton. Die schmutzige trug ich ins Bad und häufte sie in die Badewanne. Ich klopfte an die Schlafzimmertür. Die Lehrerin saß auf dem Bett und schnäuzte sich in ein Taschentuch.
    »Sitz gera…!« begann ich und drückte mir die Hand gegen den Mund. Die Dinge begannen sich merkwürdig zu verwischen.
    Ich schob den Karton mit dem Fuß ins Schlafzimmer.
    »Nimm«, sagte ich. »Schenk’s halt deiner Nichte.«
    Die Lehrerin nahm das Taschentuch weg vom Gesicht. Ich wünschte, sie hätte es nicht getan.
    »Sulfia braucht es ja nicht mehr«, sagte ich und ging zurück zu meinem Feldbett.
    Sulfia hatte nichts. Sie besaß praktisch keine Sachen. Was ich an Hosen und Pullovern noch finden konnte, gab ich der Lehrerin für ihre Nichte mit. Um das Waschen kümmerte ich mich nicht – es schadete nichts, wenn auch diese Art von Mensch einmal einen Finger rührte. In einer Schrankecke entdeckte ich ein kleines Kästchen mit einem billigen Ring und einer Kette und eine Kiste mit Briefen. Es waren Aminats Briefe, gesammelt über die Jahre. Ich legte die Briefe in meinen Koffer.
    Drei Tage vor meinem Rückflug holte Kalganow die Urne ab. Es war klar, dass ich sie mitnehmen würde. Sie war sehr schön, die Wände aus marmoriertem Stein und der Name in Goldbuchstaben – so gehörte sich das. Sie hatte einen schönen Namen, jetzt würde ihn nie wieder jemand verhunzen.
    Kalganow ging gebeugt. Er wollte die Urne eigentlich in seiner Nähe bestatten, und er hatte die Dreistigkeit, mir das zu sagen. Ich wollte mit der Urne eigentlich auf seinen Kopf einschlagen, hatte aber die Pietät, es nicht zu tun.
    Ich

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