Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
und da war dann Weihnachten.
Ich hatte wieder einmal den Gedanken, dass das vielleicht doch einfach nur ein manisch-depressiver Redakteur von
Verstehen Sie Spaß?
verbrochen haben könnte, und sah mich unauffällig nach versteckten Kameras um. Ich gebe zu, das tue ich tatsächlich auch nach all den Jahren als Sachverständige immer mal wieder.
Während ich das tat, war mir schon klar, dass das vollkommen bescheuert war, weil 1 .) auch ein manisch-depressiver Redakteur ja immer noch einen Chef hat, der das Ganze abgenickt haben müsste, 2 .) versteckte Kameras so heißen, weil sie es sind und ich sie deshalb ja wohl kaum finden würde, wenn ich mich mal eben total unauffällig im Raum umsehe. Außerdem gab es da noch ein Problem: das Im-Raum-Umsehen nämlich. Genau das musste ich nämlich die nächsten Stunden vermeiden, um mich konzentrieren zu können.
Es hingen überall Glitzerengel herum. Das Fensterbrett und auch die Regale sowie der Couchtisch standen voll mit Weihnachtsmännern, Rentieren, weiteren Engeln, Schneemännern, Kerzen und Schalen mit getrockneten Tannenzweigen, Glitzersternen und golden bemalten Nüssen. Jede Steckdose war mindestens mit einem Dreifachstecker belegt, in dem die Enden diverser Lichterketten steckten (zum Glück keine blinkenden – sonst hätte ich wahrscheinlich spontan einen epileptischen Anfall bekommen). Das ganze Haus roch nach diesem Weihnachtsduftkram. Irgendwas mit Zimt, Bratapfel, Tannen und Glühwein – also als würde man mitten im Wald plötzlich an einen Glühweinstand kommen, der auch Bratäpfel mit Zimtaroma verkauft –, eine schöne Vorstellung … Ein Wald … Ein großer einsamer Wald … Und ganz viel Glühwein …
Ich würde ja gern berichten, dass im Hintergrund Weihnachtsgedudel lief, aber es lief EBEN NICHT im Hintergrund. Es lief im VORDERGRUND . Als ich das Wohnzimmer betrat, lief ausgerechnet »Stille Nacht«, und fast hätte ich gelacht. Aber eben nur fast.
Also, es lief sehr laut Weihnachtsmusik. »Stille Nacht«, »O Tannenbaum«, »Ihr Kinderlein kommet« … All dieser Kram. Ich war beinahe erleichtert, nach einer Weile dann auch »Jingle Bells« zu hören. Und ja, ich hatte Frau Reinhardt natürlich darum gebeten, die Musik während des Gespräches auszumachen. Die Antwort war: »Ach, nein, das wäre aber doch zu schade. Die ist so schön, die Musik. Ich mache sie ein bisschen leiser, das geht dann auch.«
Ich war so benebelt von dem Zimtbratapfelglühweintannen-Gemisch, dass ich hierauf nur langsam nickte. Ich glaube, sie hat die Musik dann auch gar nicht wirklich leiser gemacht …
Aber man gewöhnt sich ja bekanntlich an alles. Auch an Weihnachten im März. Nach einer Viertelstunde konnte ich mich dann doch auf das Gespräch mit der Großmutter konzentrieren. Na ja, zumindest bis zu dem Moment, als eine sehr alte Frau wie ein Geist durchs Zimmer schlurfte. Sie hatte lange verfilzte graue Haare und trug ein weißes Nachthemd – sah also verdammt noch mal genau SO aus, wie besagter psychisch gestörter Redakteur so einen Running Gag hätte herrichten lassen. Die alte Frau hustete lautstark, hob eine Blumenvase mit Plastikblumen hoch und stellte sie wieder hin, um mit einem »Das hab ich doch gleich gesagt!« wieder zu verschwinden.
Es fehlte nur noch das mit Kettengerassel untermalte »Huuuuiiii-Buuuuuuh …!« …
Auf meinen fragenden Blick hin erklärte Frau Reinhardt, die Dame sei ihre Mutter. »Die stört nicht groß, und ich bekomme dann das Geld für die Pflege.«
Ich überlegte, ob ich sie bedauern sollte, denn jetzt, wo sie das Geld für die Pflege bekam, war das ja glatt wie Geld verdienen. Sie musste also sicherlich ziemlichen Stress haben, dieses Geld so schnell wie möglich wieder auszugeben, um nicht Gefahr zu laufen, immer und immer wieder umgebracht zu werden …
Ich fragte, ob sie die Weihnachtsdekoration wegen ihrer Mutter noch nicht weggeräumt habe. Ich hegte den Schimmer einer Hoffnung, dass die Entfernung der Dekoration für die alte Frau vielleicht verwirrend gewesen war und man sich deshalb entschieden hatte, das Haus noch eine Weile so zu belassen. Frau Reinhardt schaute mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Wie??? Wieso wegen meiner Mutter?? Wie kommen Sie denn darauf?? Die kriegt doch eh nix mehr mit. Das haben Sie doch gesehen, oder? Die ist halt da und schlurft ab und zu herum. Das war’s dann auch. Na, lang macht die’s auch nicht mehr.«
Ich sah ein, dass
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