Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
ihr bewegte.
Ich wartete eine Weile. Dann bat sie, mir alles ganz in Ruhe zu erzählen.
Als ich nach fast drei Stunden die Wohnung von Frau Scholz verlassen wollte, um mich auf den Weg zum Jugendamt zu machen, kam gerade Herr Ziegler nach Hause. Zumindest wurde er mir von Frau Scholz als solcher vorgestellt. Ich selbst wäre nicht auf die Idee gekommen, dass es sich um den Freund der Mutter handeln könnte. Ich hätte ihn eher für De oder Ka oder einen anderen von Mandys Freunden gehalten. Er trug diese Jeans, bei denen man immer Sorge hat, dass der Hosenbund jeden Moment über die Knie rutscht, eine Baseballjacke und ein Cappy, das im Gegensatz zur Jeans zu klein war und deshalb recht lächerlich auf seinem Kopf hockte.
Herr Ziegler machte seltsame Dinge mit seiner Hand, die wohl zusammengenommen eine Art Gruß darstellen sollten. Für mich war es wildes Herumgefuchtel, aber was wusste ich schon …
»Alter …!!« Herr Ziegler ließ sich auf das Sofa fallen und legte mit Schwung die Füße auf den Couchtisch. »Die vom Amt, die haben echt nicht mehr alle Latten am Zaun, ey. Alter! Was die alles wissen wollen. Alter! Die sind doch alle behindert!«
Frau Scholz war das Benehmen ihres Lebensgefährten offenbar etwas unangenehm.
»Schatz, das ist Frau Seeberg. Wegen der Begutachtung …«
Herr Ziegler sprang auf und ging so zielstrebig auf mich zu, dass ich automatisch einen Schritt zurückwich.
Er kam sehr dicht vor mir zum Stehen und fuchtelte wieder mit der Hand. Diesmal war es sicher kein Gruß, sondern sollte seinen Worten Nachdruck verleihen. Alles in allem sah Herr Ziegler recht bedrohlich aus, wie er da wild gestikulierend vor mir stand.
»Ey, dieser Wichser! Oha! Alter! Dieser Wichser erzählt einen Haufen Lügengeschichten! Als ob ich mich an kleinen Kindern vergreifen würde! Der soll mal in meine Nähe kommen, der Wichser! Oha! Dann hält der sein blödes Maul, und zwar für immer!!«
Frau Scholz war inzwischen hinter Herrn Ziegler getreten und hatte mit leisen »Schatz …«-Einwürfen versucht, ihn zu stoppen.
Sie legte die Hand auf seine Schulter.
Und so schnell, dass ich gar nicht recht sagen konnte, wie es passiert war, saß Frau Scholz auf dem Boden und hielt sich die Wange.
»Ey, bist du Sonderschule oder was?!?« Herr Ziegler brüllte erst Frau Scholz und dann mich an. »Haben Sie gesehen, was die da gemacht hat? Haben Sie das gesehen? Die spinnt doch!«
Wieder an seine noch immer am Boden hockende Lebensgefährtin gewandt, schrie er: »Ey, erschreckst du mich noch mal so, bist du tot! Oha!«
Er stampfte zur Tür, riss sie auf, taumelte, weil er nicht bedacht hatte, dass die Tür keinen Widerstand leisten würde, fing sich wieder und verließ mit einem »Oha, Alter!« die Wohnung.
Das war zwar kein würdiger, aber ein durchaus konsequenter Abgang.
Oha!
Ich sagte meinen Termin beim Jugendamt ab und blieb noch eine Weile bei Frau Scholz. Nachdem sie mir eine ganze Weile versuchte hatte zu versichern, dass Herr Ziegler eigentlich »gar nicht so ist« und »sonst total lieb«, schlug sie die Hände vors Gesicht und stöhnte laut auf.
»Ich mach einfach alles falsch! Am liebsten wäre ich gar nicht mehr da. So eine Scheiße …!«
Ich besprach mit Frau Scholz, dass wir nun beide eine kurze Pause machen und uns danach noch einmal in Ruhe zusammensetzen würden. Ich brauchte einen Moment, um meine Gedanken zu sortieren. In dieser Familie gab es entschieden zu viele Baustellen – und dabei kannte ich erst einen kleinen Teil der Beteiligten.
Den ganzen Nachmittag sprachen Frau Scholz und ich darüber, wo ich die Schwierigkeiten sah, und wir überlegten gemeinsam, was sie tun könnte, um ihr Leben und das ihrer Kinder zu verbessern. Wir hatten diverse Möglichkeiten durchgesprochen und eine Liste mit realistischen Optionen erstellt.
Frau Scholz wollte sich gerne von Herrn Ziegler trennen, wusste aber nicht recht, wie sie es ihm sagen sollte, gönnte Herrn Scholz auch nicht die Genugtuung, dass ihre neue Beziehung wieder zu Ende war, und hatte Sorge, dass Herr Ziegler nach einer Trennung randalieren und dazu noch Lügen über sie verbreiten würde. Ich hielt ihre Sorge für begründet und bat Frau Scholz, bei einer möglichen Trennung Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Sobald wir über Herrn Scholz sprachen, brach sie in Tränen aus und wiederholte nur immer wieder, dass sie »diesem Monster« auf gar keinen Fall jemals wieder ihre Kinder anvertrauen würde. Es sei ja
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