Die Schandmaske
einer Wolke hervorgekommen war, wieder auf dem Rasen lagen. »Warum haben Sie mich gebeten, hierherzukommen, Ruth?«
»Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich dachte, Sie könnten es mir sagen.«
Sarah betrachtete das d ünne, ziemlich boshafte Gesicht und fragte sich, ob Joanna wusste, wie stark die Abneigung ihrer Tochter gegen sie war. »Tun Sie gar nichts. Ich kann mir offen gesagt nicht vorstellen, was Ihre Mutter gesagt oder getan haben könnte, um Mathilda zum Selbstmord zu treiben, und selbst wenn es da etwas gäbe, wäre es keine strafbare Handlung.«
»Das sollte es aber sein«, entgegnete Ruth scharf. »Als sie das letztemal hier war, hat sie einen Brief gefunden. Sie hat Großmutter gedroht, sie würde ihn veröffentlichen, wenn Großmutter nicht auf der Stelle ihr Testament ändern und aus dem Haus ausziehen würde. Darum hat sich Großmutter umgebracht. Sie hat nämlich alles mir hinterlassen. Sie wollte alles mir hinterlassen.« Jetzt beherrschte eindeutig Bosheit die unreifen Züge.
O Gott, dachte Sarah. Was wollten Sie mir sagen, Mathilda? »Haben Sie diesen Brief gesehen?«
»Nein, aber Großmutter hat mir geschrieben, was drin stand. Sie hat geschrieben, sie wolle nicht, dass ich es von meiner Mutter erfahre. Also, Sie sehen's doch, meine Mutter hat sie dazu getrieben. Großmutter hätte alles getan, um zu vermeiden, dass in aller Öffentlichkeit ihre schmutzige Wäsche gewaschen wird.« Ihre Stimme war rau.
»Haben Sie den Brief noch, den sie Ihnen geschrieben hat?«
Ruth sah sie finster an. »Ich hab ihn zerrissen. Aber der war sowieso nicht wichtig. Wichtig ist der, den meine Mutter gefunden hat. Sie wird ihn bestimmt dazu benutzen, Großmutters Testament anzufechten.«
»Dann sollten Sie sich einen Anwalt suchen, denke ich«, sagte Sarah mit Entschiedenheit und machte Anstalten, aufzustehen. »Ich war nur die Ärztin Ihrer Großmutter. Ich kann mich nicht in einen Streit zwischen Ihnen und Ihrer Mutter einmischen, Ruth, und ich bin sicher, das hätte Mathilda auch nicht gewollt.«
»Doch! Doch!« rief Ruth erregt. »Sie hätte es gewollt. In ihrem Brief hat sie geschrieben, wenn ihr was zustoßen sollte, dann solle ich mich an Sie wenden. Sie schrieb, Sie wüssten am besten, was zu tun sei.«
»Das kann nicht sein. Ihre Großmutter hat sich mir nicht anvertraut. Alles, was ich über Ihre Familie weiß, ist das, was Sie mir heute erzählt haben.«
Ruth umklammerte ihre Hand. Ihre Finger waren eiskalt. »Der Brief war von Großmutters Onkel, Gerald Cavendish. Er hatte ihn an seinen Anwalt geschrieben. Es war ein Testament, und darin hieß es, dass sein ganzes Vermögen an seine Tochter übergehen soll.«
Sarah sp ürte das Zittern der eiskalten Hand an der ihren. »Und weiter?« sagte sie.
»Das Haus und das ganze Geld haben ihm gehört. Er war der ältere Bruder.«
Sarah runzelte die Stirn. »Was wollen Sie damit sagen? Dass Mathilda nie ein Recht darauf hatte? Es tut mir leid, Ruth, wirklich, aber mir ist das alles völlig unverständlich. Sie müssen sich einen Anwalt suchen und mit ihm sprechen. Ich habe keine Ahnung, wie Ihre rechtliche Situation aussieht.« Dann sprach sie aus, was ihr im Kopf herumging. »Aber merkwürdig ist das mit dem Testament. Ja. Hätte seine Tochter denn nicht automatisch geerbt?«
»Es hat ja kein Mensch gewusst, dass sie seine Tochter ist«, sagte Ruth verzweifelt. »Keiner außer Großmutter, und sie hat allen erzählt, James Gillespie wäre der Vater. Es ist meine Mutter, Dr. Blakeney. Großmutter ist von ihrem Onkel gefickt worden. Das ist doch wirklich krank, oder?“
Heute kam Joanna mich besuchen. Fast das ganze Mittagessen lang fixierte sie mich mit diesem eigenartigen, h öchst unangenehmen Blick, den sie an sich hat - ich musste an einen Terrier denken, den Vater einmal hatte. Er wurde bösartig, nachdem er geschlagen worden war, und musste eingeschläfert werden. Seine Augen funkelten genauso boshaft, als er Vater in die Hand biss und sie bis auf den Knochen aufriss -, dann kramte sie fast den ganzen 'Nachmittag in der Bibliothek herum. Sie behauptete, sie suche das Buch über Blumenarrangements, das meiner Mutter gehört hat, aber sie log natürlich. Ich erinnere mich genau, dass ich ihr das mitgegeben habe, als sie wieder nach London zog. Aber ich habe nichts gesagt.
Sie sah ziemlich nuttig aus, finde ich jedenfalls - viel zu viel Make-up f ür eine Fahrt aufs Land, und ihr Rock war lächerlich kurz für eine Frau ihres Alters. Ich
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