Die Schanz
Kopf.
«Ich war Dolmetscher bei der UN. Und als Mladić’ Truppen kamen, sollten wir eine Liste von den UNO-Mitarbeitern vor Ort schreiben, die mit dem ganzen Krieg nichts zu tun hatten. Und wir setzten auch Goran Milovanović auf die Liste. Er war Serbe, Journalist bei einer unabhängigen Zeitung in Belgrad, ein Freund. Er war dort, weil er dokumentieren wollte, dachte ich.» Seine Stimme wurde leiser, und er schaute Astrid wieder an. «Heute glaube ich, dass er etwas wusste, etwas über Bouma, dass er zu viel wusste. Und wir setzten seinen Sohn Mirko auf die Liste, der unbedingt Journalist werden wollte und der einfach nur dort war, weil sein Vater ihm zeigen wollte, wie der Alltag eines Kriegsberichterstatters aussieht. Wir setzten beide auf die Liste, Goran und seinen Sohn, und wir brachten die Liste zu Oberst Bouma. Man hatte uns mitgeteilt, dass er die Liste prüfen musste, bevor er sie an die serbischen Offiziere weitergab.»
Rijnder atmete durch. «Gorans und Mirkos Namen standen ganz unten. Bouma ließ sich Zeit – ich stand direkt vor ihm –, er studierte die Aufstellung gründlich. Dann schaute er mich an und sagte: ‹Die letzten beiden haben mit der UNO nichts zu tun.› Dann nahm er seinen Füller, einen teuren Füller mit einer goldenen Feder, und strich die letzten zwei Namen durch. Er tat das ganz lässig, zwei saubere Striche. Eine kleine Korrektur, mit der er zwei Menschen in den Tod schickte. Mirko Milovanović war noch keine achtzehn Jahre alt, er wusste nicht einmal, was Leben heißt, und Oberst Bouma beschert ihm mit einem kleinen schwarzen Strich sein Ende, einfach so, weil er die Macht dazu hat. Und ich bin ganz sicher, Bouma wusste, dass er Goran und Mirko damit zum Tode verurteilte, ich war ja dabei. Die anderen auf der Liste sind nicht umgekommen, sie haben alle überlebt.»
Astrid schluckte.
«Ich muss immer an Boumas Augen denken. Seit sieben Jahren denke ich an seine Augen, als er mit seinem goldenen Füller die beiden Namen durchstrich. In ihnen habe ich den Tod gesehen.» Er legte die Hände übers Gesicht, ganz leise, ganz undramatisch. «Ich hatte ihn oft gesehen vorher, aber niemals so unnötig, so desinteressiert.»
Sie hatte ihre Eltern gebeten, Katharina von der Tagesstätte abzuholen, dann ein Taxi bestellt und sich zum Präsidium fahren lassen. Sie war ins Büro gegangen, hatte nicht lange gefragt, sich hingesetzt und die Geschichte erzählt, wie Rijnder sie erzählt hatte.
Jetzt saß sie immer noch im Mantel und schwieg. Auch die anderen sagten kein Wort.
Schließlich ging Ackermann hinaus und kam mit einem Wasserglas halb voll gefüllt mit Schnaps wieder. Er hielt es Astrid hin. «Is’ bloß Doppelkorn, wat Besseres hab ich nich’. Trink!»
Sie nahm einen kleinen Schluck.
«Jetzt ergibt der holländische BMW doch einen Sinn», murmelte Cox. «Wenn Bouma der Kontaktmann zu Mladić oder den USA war und er irgendwelche Unterlagen darüber hatte …»
«War er fein raus», unterbrach Ackermann ihn. «Dat is’ doch Quatsch! Er kann höchstens wat über jemand anders inne Hand gehabt haben.»
«Aber die ganzen Papiere über seine Militärzeit hatte Bouma in Den Helder aufbewahrt», sagte Toppe, «bis auf das Foto.»
«Ja, bis auf ein sehr entlarvendes Foto.» Astrid erholte sich so langsam wieder. «Wieso hatte er ausgerechnet dieses Bild bei sich zu Hause?»
«Vielleich’ war er stolz drauf», warf Ackermann boshaft ein. «Dat, wat der Dolmetscher erzählt hat, muss nich’ die einzige Schweinerei gewesen sein, die Bouma auffem Gewissen hatte. Vielleich’ wollt’ sich einer rächen.»
Toppe schüttelte den Kopf. «Aber so jemand kommt doch nicht vorher zwei-, dreimal in der Woche zu Besuch. Außerdem ist Unkrig nach wie vor der Einzige, der diesen ominösen BMW gesehen haben will.»
«Eben», entgegnete Cox, «gesehen haben will . Es kann doch sein, dass einer oder mehrere aus Schenkenschanz in der Sache mit drinhängen.»
«Meinste dat ernst?» Ackermann schien nicht überzeugt. «Na ja, ma’ gucken. Wer ham no’ längs’ nich’ alle durch. Voss ham wer auch no’ nich’ wieder erwischt, un’ der würd’ et dem Chef sagen, wenn er wat über dat Auto weiß, da könnt ich drauf wetten.»
Toppe legte Astrid den Arm um die Schultern. «Komm, wir fahren nach Hause.»
Van Gemmern fand auf Unkrigs Hof keinerlei Hinweise auf einen Mord, Unkrigs Mutter bestätigte, ihr Sohn habe am 19. Oktober bis nach Mittag geschlafen, Klaus Voss hatte
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