Die scharlachrote Spionin
besteht darin, sich just so weit entfernt zu halten, dass er nicht zubeißen kann«, lächelte Sofia.
»Vertrauen Sie sich selbst, Mylady, dann werden Sie jedes Raubtier bändigen können«, entgegnete die Zofe.
»Stimmt.« Sofia umklammerte ihr samtenes Retikül wie eine Waffe. »Höchste Zeit zum Aufbruch.«
»Ihre Ladyschaft ist nicht zu Hause, Mylord!«
Weil Osborne wusste, dass Sofia nachmittags einen Termin mit ihrem Schneider vereinbart hatte, war er auf die Antwort des Butlers gefasst. »Ja, sie hatte eine Verabredung in der Bond Street erwähnt.« Er schaute demonstrativ auf seine Taschenuhr. »Ah, sieht so aus, als wäre ich ein wenig zu früh. Ich warte, wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben.«
Der Mann kniff die Augen zusammen, trat aber langsam beiseite und lud ihn mit einer Handbewegung ins Haus ein. »Sehr wohl, Sir.«
»Das Wohnzimmer wäre mir recht.« Osborne eilte über den Marmorfußboden, bevor der Butler ihn in den Salon lenken konnte. »Die Lady und ich bestehen nicht auf Förmlichkeiten.«
»Einen Port oder einen Sherry, Sir?«, fragte der Mann, der sich ihm an die Fersen geheftet hatte. »Oder einen Tee?«
Osborne nahm ein Buch über das römische Altertum aus dem Regal und blätterte durch die Seiten. »Nein, vielen Dank. Ihre Ladyschaft hat mich nach meiner Meinung über diese Stiche gefragt. Ich werde mich einfach in den Sessel setzen und mir das Buch in Ruhe anschauen, bis sie zurück ist.«
Der Butler hatte verstanden, nickte ernst und schloss die Tür leise hinter sich.
Osborne wartete ein paar Minuten, bevor er das Buch zur Seite legte, den Türriegel drehte und durch den Spalt lugte. Die Halle war leer, und wenn er den Blick am Geländer vorbeischweifen ließ, sah die Treppe ebenfalls leer aus. Er schlüpfte aus dem Wohnzimmer und eilte lautlos die Stufen hinauf. Aus einer beiläufigen Unterhaltung wusste er, dass Sofias Schlafzimmer im hinteren Bereich des Hauses lag und auf den Garten hinauszeigte. Um diese Tageszeit mussten die Dienstmädchen ihre Putzarbeiten bereits beendet haben.
Und was die Zofe der Lady betraf ...
Das Glück blieb an seiner Seite. Der Raum war leer. Trotzdem würde er sich beeilen müssen, wenn er die Peinlichkeit vermeiden wollte, in ihrem Zimmer erwischt zu werden. Er presste die Lippen aufeinander, überlegte sich, dass er eine Liebesaffäre vortäuschen und damit die Dienerschaft vielleicht zufriedenstellen könnte. Obwohl es natürlich wahrscheinlicher war, dass die Lady ihm einen Kinnhaken verpasste, als ihn zu einem wilden Tumult in ihr Bett einzuladen.
Lange betrachtete er das geschnitzte Himmelbett. Unter der Daunendecke und den prallen Kissen lugte das cremefarbene weiße Leinen verführerisch hervor, die zart gesäumten Kanten waren mit hauchdünner Seide eingefasst.
So verlockend es auch sein mochte, sich Sofia zwischen den Laken vorzustellen, so mahnte ihn die klappernde Kohlenschütte auf dem Flur, dass er keine Zeit hatte, sich in erotischen Tagträumen zu verlieren.
Schließlich hatte er eine Mission zu erfüllen.
Osborne ging zu ihrem Schreibtisch am Fenster, prüfte die Unterlage und die Briefschachtel, zog dann die Schublade auf und begann mit einer systematischen Durchsuchung des Inhalts. Seltsam, schoss es ihm durch den Kopf, als er die letzte Abteilung durchwühlt hatte. Keine leidenschaftlichen Liebesbriefchen, keine Miniaturporträts ihres verstorbenen Ehemannes, kein Tagebuch, kein ... nichts. Sie war eine Lady, deren Familie und Freunde auf dem Kontinent lebten, aber es fand sich keine Korrespondenz, keine Dokumente über die Anwesen, keine Erinnerungsstücke von zu Hause.
Es schien, als würde ihr früheres Leben gar nicht existieren.
Stirnrunzelnd ging er zur Frisierkommode. Außer ein paar Duftwässerchen, einer schlichten Haarbürste und einem Kamm konnte er nichts entdecken, noch nicht einmal Döschen für Cremes und Salben, die sonst so reichlich im Schlafzimmer einer Lady zu finden waren. Schlicht, spartanisch. Eine Schachtel für die Haarnadeln und zwei lederne Schmuckkästchen waren militärisch präzise an der vergoldeten Kante der hölzernen Kommode aufgereiht.
Osborne öffnete das erste Kästchen. Glitzernde Smaragde, reiche Rubine, schimmernde Perlen - es war keine Überraschung, dass eine wohlhabende Contessa kostbare Halsketten und Armbänder besaß. Sorgsam legte er die Schmuckstücke auf den Samtboden zurück und klappte den Verschluss zu.
Das zweite Kästchen enthielt eine ebenso
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