Die scharlachrote Spionin
ihm über die Wange.
»Ich hatte mir eingebildet, das Gesicht wiederzuerkennen«, erwiderte Osborne sanft. »Daher habe ich es mir von der Besitzerin ausgeliehen, um mich zu vergewissern, dass mein Verdacht mich nicht getrogen hat.«
»Bitte richten Sie Ihrer Bekanntschaft aus, dass ich bereit bin, jeden Preis dafür zu zahlen. Besonders wenn ich erfahren darf, wie das Stück in ihren Besitz gelangt ist.« Sterling wischte sich über die Wange. »Sie müssen wissen, dass ich mich von meiner Tochter entfremdet hatte ... wegen ihrer Heirat mit einem Mann, den ich für unwürdig gehalten habe. Wie ich für meinen Hochmut und mein Vorurteil habe bezahlen müssen! Es hat Monate gedauert, bis ich erfuhr, dass sie bereits gestorben war.« Seine Stimme zitterte. »Eine Grippe-Epidemie, die auch ihren Ehemann und das neugeborene Kind dahingerafft hat. Als ich endlich in dem Dorf angekommen war, in dem sie gelebt hatte, waren sämtliche Erinnerungsstücke aus ihrem Haus längst verschwunden.«
Mit anderen Worten, der Duke wusste nichts über Sofia?
»Die gegenwärtige Besitzerin hat nicht die Absicht, es zu verkaufen, Euer Gnaden«, erklärte Osborne. »Ich fürchte, ich muss es zurückbringen. Aber jetzt, wo ich nicht mehr an seiner Herkunft zweifeln muss, verspreche ich Ihnen zu tun, was in meiner Macht steht, um Sie wieder mit Ihrem verlorenen ... Erbstück zu vereinen.«
Langsam ließ Sterling die filigrane Kette durch seine Finger gleiten. »Ich habe Sie immer für einen ehrenwerten Mann gehalten, Osborne. Ich vertraue auf Ihr Wort.«
Sofia knüpfte die Bänder ihres Hutes auf und warf ihn auf den Tisch in der Eingangshalle. Einkaufen konnte anstrengender sein als Fechtübungen, aber immerhin hatte die Verabredung beim Schneider in der Bond Street ihre Ausfahrt mit De Winton verkürzt.
Die Sache mit den Scarlet Knights läuft gut, dachte sie, obwohl Berührungen des Mannes ihr inzwischen einen kalten Schauder über den Rücken jagten. Verglichen mit Osborne ...
Nein, sie durfte es nicht zulassen, dass ihre Gedanken in diese Richtung schweiften. Glücklicherweise hatte De Winton keinen Versuch unternommen, sie zum Schneider zu begleiten. Aus den Augen, aus dem Sinn.
Sofia zog sich den Umhang von den Schultern und betrat das Wohnzimmer nebenan. Sie hatte ihre Studien über das alte Rom vernachlässigt, und wenn sie vor dem Duke den Schein wahren wollte, musste sie das Buch zu Ende ...
Abrupt blieb sie stehen, als sie Osborne am Fenster sitzen sah. Er blätterte in ihrem Buch, die Beine ausgestreckt, das Halstuch gelöst; aber die Anspannung in den Schultern strafte seine lässige Haltung Lügen.
Mit einem kurzen Nicken täuschte Sofia über ihre Überraschung hinweg. »Welchem Anlass habe ich das Vergnügen dieses unerwarteten Besuchs zu verdanken?«
Anstatt einer Antwort hielt er das Medaillon hoch.
Sofia spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich. Mit raschen Schritten war sie bei ihm und versuchte, es ihm zu entreißen.
Osborne zog die Hand zurück, blieb außer Reichweite. »Noch mehr goldener Tand, den du gestohlen hast?«, fragte er mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme.
»Nein!«, antwortete sie schrill. »Verdammt noch mal, Osborne! Du hast kein Recht, meine persönlichen Dinge zu durchwühlen!«
»Woher hast du es?«, herrschte er sie an.
»Das geht dich einen verdammten Dreck an!«, fauchte sie zurück.
»Ja, kann sein. Aber hat nicht der Duke of Sterling das Recht zu erfahren, dass seine Großtochter sich als italienische Contessa verkleidet?«
Sofia versuchte, ein paar Worte über die Lippen zu bringen, aber es gelang ihr nicht.
»Aber vielleicht verhält es sich auch genau anders herum«, fügte er hinzu.
»Was?« Sie musste ihre Verwirrung nicht vortäuschen, denn er hatte sie bereits aus der Bahn geworfen. Irgendwie musste es ihr gelingen, wieder Tritt zu fassen.
»Ich sitze hier schon eine ganze Weile und versuche, mir einen Reim darauf zu machen, was du wohl im Schilde führst.« Osbornes Blick war eiskalt. »Es will nicht recht ins Bild passen, dass Lord Lynsley sich daran beteiligt, Sterling hinters Licht zu führen. Also ist es denkbar, dass du aus deiner Ähnlichkeit mit der Tochter des Dukes nur einen Vorteil schlagen willst. Hast du das Medaillon einfach nur gestohlen? Oder hast du Elizabeth Woolseys Tochter aus dem Weg geräumt, um ihren Platz einzunehmen und deinen Anspruch auf ein reiches Erbe anzumelden?«
Sofia konnte nicht verhindern, dass ihre Lippen zuckten.
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