Die scharlachrote Spionin
diesem Fall hätte Lynsley guten Grund, es zu bedauern, dass seine Wahl auf sie als Agentin gefallen war.
Lynsley schaute auf und stopfte das Papier in seine Manteltasche. »Gut kombiniert.«
Sofia atmete erleichtert aus.
»Der Code scheint eher auf dem Vigenère Square als auf der Caesar-Methode zu basieren«, vermutete Lynsley, »sollte aber trotzdem leicht zu knacken sein. Unser Kryptograf hält sich zurzeit nicht in London auf, aber ich arbeite insgeheim mit einem kleinen Kreis sehr gelehrter Ladys zusammen ... zu dem übrigens auch eine echte italienische Contessa gehört ... Die Ladys kennen sich in solchen Dingen bestens aus. Es wird nur wenige Stunden dauern, bis die Nachricht entschlüsselt vorliegt.«
Das Lob hatte sie ermutigt, sodass sie eine Frage wagte. »Gibt es unumstößliche Beweise gegen die Lieferanten, die ich auf der Liste in der Tabakdose entdeckt habe?«
»Bis jetzt nicht«, entgegnete der Marquis, »aber auf der Grundlage dessen, was Sie bisher herausgefunden haben, sind wir in der Lage gewesen zu ermitteln, wie weit sie ihr Netz der Korruption schon gesponnen haben.« Nachdenklich blickte er sie aus seinen eisblauen Augen an. »Gleichgültig, ob erfundene Verschiffungen von Wolldecken oder falscher Munition oder verdorbenen Fleisches, die Leute ergaunern sich geradezu obszöne Profite damit, dass sie unser Militär mit schlechtem oder gar nicht vorhandenem Nachschub ausstatten. Ihre Arbeit hat sich als unschätzbar erwiesen, weil Sie uns bestimmte Namen geliefert haben, sowohl die der Hauptverschwörer als auch die der Firmen, mit denen sie Handel treiben. Ich zweifle nicht daran, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis wir den Beweis in der Hand halten, den wir brauchen, um sie für ihre Verschlagenheit zahlen zu lassen.«
»Ich weiß, dass es zwingend notwendig ist, die Identität des Anführers zu erfahren, um der Verschwörung ein Ende zu setzen, Sir«, bekräftigte Sofia, »und ich habe Grund zu der Annahme, dass ich Ihnen diesen Namen schon sehr bald liefern kann.«
»Ja, es wäre in der Tat eine große Hilfe, wenn wir wüssten, wer der Kopf dieser Operation ist«, stimmte er zu. »Aber nicht um jeden Preis, Sofia! Diese Männer sind ausgesprochen hinterhältig ... und ausgesprochen skrupellos. Sie müssen die nächsten Schritte vorsichtig wählen. Es wäre mir sehr recht, wenn Sie kein unnötiges Risiko eingingen, um die Information zu bekommen.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Sir! Anders als meine früheren Zimmergenossinnen handele ich kühl und überlegt. Ich werde nichts überstürzen.«
Lynsley starrte sie nachdenklich an.
Unwillkürlich fragte sich Sofia, was er wohl erkannt haben mochte. Einen Merlin, der nicht recht in der Lage war, es mit dem Feuer und der Kampfkraft der anderen aufzunehmen?
Mit den Fingerspitzen trommelte Lynsley sanft auf das zerkratzte Holz. »Außerdem sollten wir uns noch über Osborne unterhalten.«
Obwohl der plötzliche Wechsel des Themas sie überraschend traf, gelang es ihr, die Haltung zu bewahren. »Ja?«
Wieder schwieg der Marquis. »Welchen Eindruck haben Sie von diesem Mann gewonnen?«
Das fragte Lynsley sie?
Unruhig rutschte sie auf dem Stuhl hin und her. Wollte er sie etwa auf die Probe stellen? Oder erwartete der Marquis, dass sie gestand, eine heiße Nacht mit Osborne verbracht zu haben? Der Seitenblick auf ihn enthüllte nicht mehr als den schmierigen Streifen Schmutz auf der Wange. Er verstand sich meisterlich darauf, seine Gefühle zu verbergen - und sie beschloss, ihm nachzueifern.
Wie er sie vorhin erinnert hatte, war sie kein kleines Schulmädchen mehr, sondern eine Agentin, der man die Verantwortung übertragen hatte, auf dem Schlachtfeld Entscheidungen über Leben und Tod zu treffen. Nein, sie wollte nicht lügen. Aber auch nicht freizügig ihre Ermittlungsmethoden preisgeben.
»Ich würde behaupten, dass er ein respektabler und höchst ehrenwerter Mann ist«, antwortete sie.
»Vertrauenswürdig?«
Sie verschränkte ihren Blick mit seinem. »Über jeden Zweifel erhaben.«
»Ja, zu diesem Schluss war ich auch gekommen, bevor ich ihn um Hilfe gebeten hatte.« Lynsley rieb sich das unrasierte Kinn. »Es geschieht nicht oft, dass ich einen Außenstehenden bitte, an der Mission eines Merlins teilzunehmen. Aber in diesem Fall war die Lage einzigartig.« Sein Seufzer mischte sich unter das Pfeifen des Kessels auf dem Herd, in dem das Wasser kochte. »Nun, es scheint, als hätte ich Osbornes Hartnäckigkeit
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