Die scharlachrote Spionin
bringen. Schließlich hatte sie im Yoga-Unterricht gelernt, dass der Geist den Körper beherrschen konnte - es war nur eine Frage der Willensstärke.
Nachdem sie mehrmals langsam durchgeatmet und die Lungen gereinigt hatte, schaffte sie es, aufzustehen. »Wo ist meine Kleidung?«
»Sie haben nichts am Leib getragen als diese Lumpen, als Sie hergekommen sind.« Rosie zeigte auf einen Haufen exotischer Seidenkleider auf dem Stuhl vor der Frisierkommode.
»Verdammt!« Sie kämmte sich das Haar aus dem Gesicht zurück. »Nun, selbst wenn ich mir aus den Laken ein Gewand schneidern muss, ich muss das Haus verlassen.«
Es klopfte an der Tür. »Ist irgendetwas nicht in Ordnung da drinnen?«
»Du solltest lieber reinkommen, Nicky, vielleicht kannst du die Lady zur Vernunft bringen«, rief Rosie. »Sie will dem Goldlöckchen nachlaufen.«
Die Tür wurde geöffnet.
Harkness starrte Sofia ebenso überrascht an wie sie ihn, als er plötzlich begriff.
»Zum Teufel noch mal«, murmelte er atemlos. »Mädchen, geht doch einen Moment vor die Tür.« Er wartete, bis das Schloss geklickt hatte, bevor er einen gequälten Seufzer ausstieß. »Lady Sofia! Ich hatte keine Ahnung, dass Sie es sind.« Sein Blick schweifte zu der luftigen türkischen Hose und zu der ärmellosen Bluse, dann zurück in ihr Gesicht. »Was zum Teufel ist hier los? Deverill meinte, dass Sie mit Drogen vergiftet worden sind. Aber wie um alles in der Welt konnte das passieren?«
»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte sie. »Ich muss mit Osborne sprechen! Es ist äußerst bedeutsam, dass Lord Lynsley und er mich anhören. Wegen Lady Sommers.«
Harkness entspannte sich. »Machen Sie sich keine Sorgen! Deverill ist bereits auf dem Weg zu ihr, während wir hier sitzen und reden. Er will sie warnen, bevor er sich auf den Weg zu Lord Lynsley macht.«
»Nein!« Die letzten Hirngespinste hatten sich plötzlich verflüchtigt. »Ich muss es unbedingt verhindern!«
Harkness berührte sie am Arm. »Kommen Sie schon, Contessa, es ist besser, wenn Sie sich hinlegen! Das Opium ist noch nicht ganz aus Ihrem Körper verschwunden.«
Sofia schüttelte ihn ab. »Ich schwöre, es hat nichts mit den Drogen zu tun. Deverill befindet sich in höchster Gefahr! Die Lady gehört zum Kreis der Verschwörer, die heute Abend versucht haben, mich umzubringen.«
Harkness sah immer noch so aus, als sei er unschlüssig, ob er ihr glauben solle oder nicht.
»Lord Harkness, mir ist klar, dass es Ihnen schwerfällt, mir zu glauben, aber ich bin nicht wahnsinnig geworden.«
»Können Sie sich eigentlich vorstellen, wie verrückt Ihre Geschichte klingt?«
Sofia lächelte schuldbewusst. »Ja. Was Sie allerdings noch mehr überzeugen sollte, dass ich mir nichts ausdenke.« Sie hielt seinem Blick stand, zuckte nicht zurück. »Bitte! Ich brauche Ihre Hilfe.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen zwischen ihnen ... das noch länger dauerte. »Vielleicht gehöre ich ja nach Bedlam ins Irrenhaus.« Er presste sich die Fäuste an die Stirn. »Was stellen Sie sich
vor?«
»Das kann ich Ihnen auf der Fahrt erklären. Ich nehme an, dass Sie eine Kutsche vor der Tür stehen haben?«
Er nickte.
»Dann holen Sie sie!« Ihre Schritte waren wieder fest und sicher, als sie zur Tür ging. »Rosie«, rief sie leise, nur um festzustellen, dass die beiden Frauen vom Schlüsselloch fortstoben.
»Äh, ja, Ma'am?« Unter der Schminke konnte man erkennen, dass Rosie leicht errötete. Ihre Freundin hingegen schien sich nicht zu schämen.
»Ohhh«, rief Fanny aus, »die Geschichte ist so viel spannender als das Buch, das Mistress Mavis uns gerade vorliest. Sie wissen schon: Das Fräulein und der düstere Lord.« Sie zupfte sich das Mieder zurecht, das beinahe den Blick auf ihre Brüste freigegeben hätte. »Können wir irgendwas tun?«
»Ja, bitte holen Sie etwas zum Anziehen.« Sofia betrachtete die eng anliegenden Mieder der Mädchen und die langen Bänder der aufgeputzten Kleider. »Möglichst praktisch. Es könnte sein, dass ich ein paar Mauern hochklettern muss.«
»Auf dem Speicher lagert jede Menge Männerkleidung«, erklärte Rosie. »Die Herrschaften neigen dazu, ihre Sachen zu vergessen, wenn sie uns verlassen.«
»Ausgezeichnet. Je dunkler, desto besser. Auch ein Paar schwarze Handschuhe dazulegen, wenn es geht«, meinte Sofia. »Und bitte beeilen Sie sich.«
Die Seidenkleider raschelten, als sie davonstoben und beinahe die Hausdame umrannten.
»Nicky«, murmelte Mistress Mavis,
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