Die scharlachrote Spionin
als sie Sofia zurück ins Schlafzimmer gezogen und die Tür geschlossen hatte, »Sie wissen hoffentlich, dass Sie und Ihre Freunde uns das Geschäft heute Nacht vollkommen verdorben haben. Meine Gäste schätzen Diskretion und Anstand.«
»Die Quittung geht an Osborne«, erwiderte Harkness, »er wird sich glücklich schätzen, Ihnen den Verlust ausgleichen zu dürfen.«
»Falls er diese Nacht überlebt«, fügte Sofia hinzu.
Mistress Mavis wischte sich eine herunterhängende Straußenfeder aus dem Gesicht. »Sie erwähnten, dass er ebenfalls in Gefahr schwebt?«
Sofia erklärte ihr kurz die Lage, ohne die brisante Information über Lynsley und die Existenz der Merlins zu erwähnen.
Die Hausdame zuckte nicht mit der Wimper, als Sofia berichtete, wie es zu der Einnahme der Drogen gekommen war und was es mit den Ausschweifungen und Korruptionsfällen in den Regierungskreisen auf sich hatte. In ihrem Beruf hat sie bestimmt schon viel wildere Geschichten gehört, dachte Sofia.
»Nein, sie ist nicht wahnsinnig«, bekräftigte Harkness.
Mistress Mavis schwieg gemessen, als sie den Blick zwischen den beiden hin und her schweifen ließ. Zweifellos überlegte sie, ob Harkness nicht vielleicht auch vollkommen verrückt geworden war.
»Und es ist auch keine Einbildung, dass Lord Osborne in Gefahr schwebt«, fügte Sofia hinzu. »Sie haben ja selbst gesehen, dass diese Leute selbst vor einem Mord nicht zurückschrecken. Gibt es irgendwelche Waffen in diesem Etablissement?«
Man musste es der Hausdame hoch anrechnen, dass sie diesmal nicht zurückzuckte. »Wissen Sie, wie man diese neuartigen Kavallerie-Pistolen lädt und benutzt?«
»Mit allen Feuerwaffen kenne ich mich bestens aus, sei es eine Taschenpistole, ein Gewehr oder ein Bundukh Torador«, erwiderte Sofia in aller Seelenruhe.
»Das hatte ich irgendwie im Gefühl. Keine wohlbehütete junge Lady hat solche Muskeln wie Sie.« Die Hausdame strich ihre Röcke glatt. »Darf ich Ihnen außerdem noch einen Dolch anbieten?«
»Umso besser.«
»Ich bin gleich zurück.« Auf dem Weg zur Tür trieb sie Harkness an. »Los, Nicky, worauf warten Sie? In fünf Minuten muss Ihre Kutsche draußen vor der Tür stehen.«
»Ich brauche nur vier.«
Sofia hatte sich das Haar bereits zu einem schlichten Knoten gebunden. Sie bewegte den Schultergürtel durch und tat so, als würde sie einen perfekten Schwerthieb durch die Luft vollführen.
»Machen Sie drei draus.«
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22. Kapitel
O sborne zügelte die schäumenden Pferde vor einem roten Backsteingebäude in den Stand. Kein Lichtschein drang aus den Fenstern. Bin ich zu spät? De Winton und seine Henkersleute hatten reichlich Zeit gehabt, um den mörderischen Weg von Southwark nach Mayfair hinter sich zu bringen.
Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, als er vom Kutschbock stieg. Bei dem gehobenen Etablissement, in das er sich geflüchtet hatte, hatte er nicht nach Waffen gefragt. Statt auf Stahl musste er sich nun auf seine Geschicklichkeit und Geschwindigkeit verlassen.
Weit und breit waren keine Scarlet Knights in Sicht.
Osborne bahnte sich den Weg zur Rückseite des Hauses, fand eine Lücke in der Buchsbaumhecke und schlich über die Terrasse zu den verglasten Türen, die alle geschlossen waren. Aber nachdem er die Hand in ein Tuch gewickelt hatte, stieß er sie durch eine Scheibe und schob den Riegel zurück.
Immer noch kein Lebenszeichen. Das klirrende Glas schien den Haushalt nicht aufgeweckt zu haben. Nachdem er ein paar Sekunden gewartet hatte, trat er mit einem großen Schritt über die Scherben und durchquerte das Gartenzimmer bis zum Korridor. Er war in der Eingangshalle angekommen und wollte gerade die Treppe hinaufsteigen, als es hinter ihm metallisch klickte.
»Stehen bleiben! Auf der Stelle.«
Er erstarrte. Angesichts der Dunkelheit und weil er den Kragen seines Kutschermantels hochgeschlagen hatte, war es nicht verwunderlich, dass die Lady ihn nicht erkannte.
»Und jetzt langsam umdrehen! Seien Sie gewarnt ... eine falsche Bewegung, und ich werde Ihnen ein Loch ins Herz schießen!«
Er tat wie befohlen. »Bitte zügeln Sie Ihre Leidenschaft, Lady Serena!«
»Osborne?«
Erleichtert stellte er fest, dass sie unverletzt war. »Leibhaftig.« Ein zaghaftes Lächeln umspielte seine Lippen.
Sie hatte die Pistole immer noch auf seine Brust gerichtet. »Was machen Sie hier?«
»Ich bin hergekommen, um Sie zu warnen. Natürlich
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