Die scharlachrote Spionin
blitzenden exotischen Skalpelle; jedes steckte in einem eigenen dünnen Täschchen. »Nicht nur das. Sie werden schreien. Und dann werden Sie mich um eine Gnadenkugel anflehen, um Sie aus Ihrem Elend zu erlösen.«
In einer dunklen Ecke zügelte Harkness das Gespann in den Stand, nachdem Sofia das Zeichen gegeben hatte. »Ärger?«, fragte er, als sie nach einer kurzen Erkundung der Straße zurückkam.
»Sieht so aus, als sei Osborne nicht der einzige Gast im Haus der Lady«, wisperte sie. »Ich gehe rein. Sie müssen sich unverzüglich auf den Weg zu Lord Lynsley machen - nicht zum Anwesen der Familie am Grosvenor Square, sondern zu seiner privaten Adresse.« Sie nannte ihm die Anschrift. »Berichten Sie ihm, was sich hier abspielt, und auch über das Paradise. Er weiß, was er zu tun hat.«
Harkness schüttelte den Kopf. »Ich kann es einer Lady nicht gestatten, sämtliche Risiken auf sich zu nehmen, während ich davontrotte und Hilfe hole«, murmelte er. »Ehrenkodex und dieser Kram.«
»Ich bin für solche Angelegenheiten ausgebildet, Lord Harkness.«
Offensichtlich zweifelte er. »Bei allem Respekt, Lady Sofia, ich kann mir nicht vorstellen, welche Ausbildung Sie hätte befähigen können, irgendeinen Mann im Kampf zu besiegen.«
Jetzt war wohl kaum der richtige Zeitpunkt gekommen, über Einzelheiten des Grundsatzes Adel verpflichtet zu diskutieren. »Sehen Sie den Schriftzug über der Eingangstür da drüben auf der anderen Straßenseite?«
»Ja, aber ...«
Sie zog das Messer aus der Tasche, das Mistress Mavis ihr gegeben hatte, und ließ es durch die Luft fliegen. »Was halten Sie von solcher Ausbildung, Lord Harkness?«, fragte sie, als die Spitze mitten in einen Buchstaben traf. »Sie sollten sich auf den Weg machen, es sei denn, Sie können es noch besser.«
Er zögerte kurz. »Der Himmel möge Sie beschützen, Lady Sofia!«
»Sie auch«, murmelte sie und eilte rasch über das Straßenpflaster, um sich die Waffe zurückzuholen. Als sie sich ein letztes Mal umschaute, sah sie den Jagdwagen im Nebel verschwinden.
Sofia war ganz auf sich gestellt.
Sie hielt sich dicht an der niedrigen Mauer, die das Grundstück zur Straßenseite abgrenzte, und schlich zu Lady Serenas Anwesen. De Wintons Kutsche stand vor dem eisernen Gatter; der Kutscher saß gekrümmt auf dem Bock und hatte den Kragen hochgeschlagen, um sich vor der kalten Brise zu schützen. Es kostete sie nur den Bruchteil einer Sekunde, ihm das Bewusstsein zu rauben. Nachdem sie seine Hände mit der Peitsche gefesselt hatte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf den Hauseingang.
Die Tür war nur angelehnt; durch den Spalt drang kein Licht. Genau wie der übrige Teil des Hauses war auch die Eingangshalle so dunkel wie ein Grab. Sie unterdrückte den Impuls, ihre stählerne Waffe zu zücken und vorwärtszustürmen, und zwang sich stattdessen, sich langsam zu nähern. Der Fechtmeister der Akademie hatte oft genug gepredigt, dass es oftmals erheblich wirkungsvoller war, eine Schwäche vorzutäuschen, als den Feind mit einem einzigen überwältigenden Hieb zur Strecke bringen zu wollen.
Sofia duckte sich an die Buchsbaumhecke, drückte sich an die Backsteinmauer und schlich sich bis zu den geflügelten Fenstern, wo sie einen Blick ins Innere wagte. Nichts. Sie gab sich noch eine Minute, wartete darauf, dass sich in der Dunkelheit etwas rührte. Ihre Geduld wurde belohnt. Just, als sie sich abwenden wollte, fing sie eine unscheinbare Bewegung auf.
Der schwarze Bart des Mannes und sein dunkler Teint gaben sein Gesicht im fahlen Mondlicht kaum zu erkennen. Das Tunikahemd und die Hose schimmerten ebenfalls in tiefem Indigo, das in den mitternächtlichen Schatten verschwamm. Nur das aufblitzende Metall in seinem kunstvoll gebundenen Turban verriet seine Anwesenheit. Sofia strengte sich an, konnte aber kaum mehr als seine Konturen erkennen. Er war über einsachtzig groß und so breit wie ein Schrank. Zweifellos würde Lord Lynsley sich brennend dafür interessieren, wie Lady Serena dazu kam, einen indischen Sikh in ihrer Dienerschaft zu halten.
Aber in diesem Moment sollte sie sich über nichts anderes den Kopf zerbrechen als darüber, ihn aus dem Weg zu räumen. Keine leichte Aufgabe. Seine Religion versammelte die gefürchtetsten Krieger in ganz Asien.
Denk nach! Es war nicht notwendig, dass ihr Herzschlag sich rasant beschleunigte, um Sofia daran zu erinnern, dass Osbornes Leben von ihrer Strategie abhing. Eine zweite Chance würde es nicht
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