Die scharlachrote Spionin
geben.
Der Mann trat auf das andere Bein und atmete hörbar aus. Er sah aus, als würde er sich zusehends langweilen und unruhiger werden. Du musst die Stärke des Feindes in eine Schwäche verwandeln. Der Satz gehörte zu den bevorzugten Ermahnungen ihres Fechtmeisters. Sie beruhigte sich mit einem tiefen Atemzug und bedankte sich stumm, dass nicht nur die besten Fechter Europas unter den Lehrern an der Akademie gewesen waren, sondern auch ein indischer Guru und ein chinesischer Tai-Chi-Experte.
Jede Disziplin hatte gelehrt, dass Geschmeidigkeit - sowohl körperlich als auch geistig - in sich selbst eine Waffe sein konnte.
Sofia erinnerte sich daran, dass der Fensterriegel zum Salon zerbrochen war, und schlüpfte ins Zimmer. Auch sie genoss den Vorteil, dass ihre Kleidung half, ihre Anwesenheit zu verbergen. Rosie hatte eine enge, schwarze Hose zutage gefördert, die der Vorsteher eines Colleges in Eton vergessen hatte, während Fanny das plissierte Seidenhemd eines preußischen Grafen fand, der sich darin gefiel, Lord Midnight zu spielen. Dank Mistress Mavis trug sie Seidenschuhe, die es ihr erlaubten, lautlos das Parkett des Korridors zu überqueren.
»Mmmmh.« Wieder verlagerte der Sikh das Gewicht und streckte die Glieder. An seiner Schärpe baumelte ein kirpan, ein gebogener, tödlich scharfer Säbel, den alle Mitglieder seiner Religion trugen.
Der Mann ist ein wandelndes Waffenarsenal, dachte Sofia, als sie sich in einem verborgenen Winkel unter der Treppe versteckte. Falls es zu einem Handgemenge kommen sollte, standen ihre Chancen nicht besonders gut. Aber im Kampf Geist gegen Geist ...
Die Tür hinter ihr war nur angelehnt und gab den Blick auf einen kleinen Lagerraum frei, der für Kohlen und geschmiedete eiserne Kohlenschütten genutzt wurde. Sofia griff nach einem kleinen Stück und schmiss es auf das polierte Parkett.
Der Sikh war groß und kräftig, bewegte sich aber beachtlich leise und schnell. Mit dem Messer in der Hand kam er um die Ecke und ließ den Blick über den leeren Korridor schweifen.
Sie klapperte mit der eisernen Schütte und brummte grimmig. Er musste sich bücken, um in die kleine Kammer lugen zu können.
Wumm. Sein Turban dämpfte das Geräusch, als das Metall auf seinen Schädel krachte. Eine Sekunde später hallte es dumpf, und sein bärtiges Kinn schlug auf den Boden auf.
Sofia hielt sich genau so lange dort auf, wie sie brauchte, um die Wurfringe aus seinem Turban zu ziehen, den Riegel vorzuschieben und zur Treppe zu eilen.
Lady Serena strich mit dem Daumen über die Klinge des ersten Dolches, ein sichelförmiger Stahl, der auf einem dünnen Messinggriff saß. Die anderen Instrumente auf dem Tisch waren ebenso ungewöhnlich geformt und sämtlichst mit einem bestechenden Muster aus Damaszener Gold verziert.
»Haben Sie jemals Messer wie diese gesehen?«, fragte die Lady und hielt Osborne eins unangenehm nahe unter die Nase. »Sie werden von Sikhs benutzt, um ihren Feinden Informationen abzupressen. Die Männer sind in ganz Indien als furchtlose Krieger berühmt.«
»Danke für den ethnologischen Vortrag! Aber falls Sie sich berufen fühlen, eines der Schmuckstücke aus Andovers Sammlung vorzuführen, dann würde ich mich mehr dafür interessieren, welche Technik er angewandt hat, um die Sammlung illustrierter persischer Bücher herzustellen.«
Lady Serena verpasste ihm eine Ohrfeige mit dem Handrücken, so heftig, dass der geschliffene Diamant eine Schürfwunde quer über seine Wange zog. »Machen Sie es sich nicht schwerer, als es schon ist, mein lieber Deverill!« Ihre Stimme klang eisig kalt. »Verraten Sie mir, wo sie sich jetzt aufhält! Dann kann ich Ihnen einen schmerzlosen Tod versprechen.«
Osborne schluckte schwer. Gallebitterer Geschmack vermischte sich mit dem seines eigenen Blutes. Er schämte sich nicht, zuzugeben, dass seine Hände zitterten und dass man ihm den Schweiß beinahe aus dem Hemd wringen konnte. Schließlich hatte er auch Sofia schon gesagt, dass er kein Bilderbuch-Held war, der niemals Angst oder Schmerz empfand. Harkness wusste zwar, was sein Freund vorhatte; aber er wäre lange tot, bevor der Arzt begriffen haben würde, dass irgendetwas schiefgegangen war.
Die Sache sah also alles andere als gut aus.
Lady Serena lachte leise, als ob sie Gedanken lesen könnte. »Ich an Ihrer Stelle würde nicht damit rechnen, dass jemand kommt, um Sie zu retten. Selbst, wenn Sie hinterlassen haben, wohin Sie gehen, ist ein Krieger der Akali unten an
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