Die Schatten der Vergangenheit
seine Spielchen benutzte. Manchmal hatte es fast den Anschein gehabt, als würde Alcais seine eigenen Leute hassen, zumindest aber die Tatsache, wie machtlos er verglichen mit den Heilerinnen und den Beschützern war. Wie weit würde ihn sein Hass treiben? Und dann das Buch, das ich in seinem Zimmer entdeckt hatte. Ein Buch über »Mischlinge« wie mich.
Auf eine wirre Art und Weise passten alle Teile zusammen. Vermutlich aber auch, weil ich mit aller Macht wollte, dass sie zusammenpassten. Sah ich einfach nur, was ich sehen wollte, weil ich Alcais nicht ausstehen konnte?
Vielleicht befand ich mich ja auf dem Holzweg, aber einen anderen Verdacht hatte ich nun mal nicht. Alcais konnte etwas wissen. Ich ging das Risiko ein und schrieb Gabriel eine SMS.
ASHER LEBT. BRAUCH DICH JETZT @ ERIN. FOLGE ALCAIS. PASS AUF.
Dann verließ ich das Badezimmer und betete, Alcais würde uns zu Asher führen.
Der Abschied von Erin fiel mir schwerer als gedacht. Die anderen würden mir nicht fehlen, aber Erin hatte ich ins Herz geschlossen. Ich überraschte sie mit einer Umarmung und drückte sie ein wenig zu fest. Sie gab ein kurzes Quieken von sich und kicherte dann. Ich flüsterte ihr ein Danke! ins Ohr, und dann drückte sie mich zurück. Delia verdrehte die Augen, als ich ihr zuwinkte, und Alcais ignorierte ich einfach komplett.
Voller Bedauern, dass ich Erin nie wiedersehen würde, und mit dem Gefühl von Hilflosigkeit, dass ich Alcais nicht zum Reden zwingen konnte, folgte ich Franc zum Truck. Irgendwo hier im Dunkeln wartete Gabriel auf Alcais. Sobald der wieder das Haus verließ, würde sich Gabriel an seine Fersen heften. Es konnte ihm noch so schlecht gehen, er wäre mit Sicherheit zur Stelle, weil Asher vielleicht am Leben war. Bei dem Gedanken schlug mein Herz schneller und wieder musste ich meine Angst verdrängen.
Auf dem Rückweg nach San Francisco – ich saß auf den Händen, um zu verbergen, wie sehr sie zitterten – starrte ich auf die Lichter, die sich auf der Windschutzscheibe widerspiegelten. Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Hatte mir mein Großvater seine Zuneigung nur vorgespielt? War das reine Show, damit ich Ruhe gab? Wie hatte ich vergessen können, aus welchem Grund meine Mutter von ihm weggerannt war? Ich kochte vor Wut und knirschte mit den Zähnen. Inwiefern war er in Alcais’ Absichten eingeweiht? Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los, und es machte mich ganz krank, dass ich ihn nicht einfach fragen konnte, ohne mein Wissen preiszugeben. In Blackwell Falls hatte ich noch gehofft, mein Großvater würde mich verstehen und vielleicht eine Möglichkeit wissen, wie ich mit Asher zusammen sein konnte, ohne ihn umzubringen. Nun wünschte ich mir nur, ich könnte nach Hause fahren und alles Geschehene ungeschehen machen. Ich hatte jeden, für den ich etwas empfand, für nichts und wieder nichts in Gefahr gebracht. Ich hatte gedacht, ich hätte einen Großvater dazugewonnen – von wegen! Diese Gemeinde – meine Leute waren das nicht. Ich gehörte nicht dazu.
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Franc zu einem Song im Radio mit den Fingern aufs Lenkrad trommelte. Er wirkte völlig unbekümmert. Fröhlich sogar. Nur, dass er so einen abwägendenBlick auf mich warf, als würde er sich neue Möglichkeiten durch den Kopf gehen lassen, wie er mich testen und drängen und gleichzeitig auf Linie halten konnte. Wenn ich zugestimmt hätte, wäre es dann heute darum gegangen? Um einen weiteren Test? Ich hatte mir gewünscht, dass er mich liebt, und hatte den Anzeichen, dass ich manipuliert wurde, keine Beachtung geschenkt. Das Schicksal meiner Mutter wiederholte sich. Auch ich konnte nur weglaufen.
Arme Remy. Wünscht sich so verzweifelt Liebe, dass sie für eine Familie alles tut!
Die Stimme in meinem Kopf machte sich über mich lustig. Und das zu Recht. Entweder hatte der Tod meiner Großmutter Franc mehr zugesetzt, als mir klar gewesen war, oder seine Stellung als Anführer der Heilergemeinde war ihm nicht bekommen. Ich betrachtete seine faltige Haut, suchte nach Antworten und wünschte, dass ich unrecht hatte.
»Was gibt’s?«, fragte er, als er mich dabei ertappte.
»Nichts. Hab mir nur gerade gedacht, wie froh ich doch bin, dass meine Mutter mich hergeschickt hat. Danke, dass du mich bei dir aufgenommen hast, Franc«, log ich ohne jegliche Gewissensbisse.
Er ergriff meine Hand und drückte sie. »Dazu ist Familie ja schließlich da.« Er legte die Hand aufs Lenkrad zurück, und ich
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