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Die Schatten der Vergangenheit

Die Schatten der Vergangenheit

Titel: Die Schatten der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corrine Jackson
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mich zu behalten.

    »Remy, was ist das Schlimmste, das du je geheilt hast?«, wollte Alcais tags darauf wissen.
    Wir waren bei Delia eingeladen, er hatte Darts gespielt, während Delia, Erin und ich um einen kleinen Tisch saßen und quatschten. Franc hatte mir beim Frühstück ein unbetiteltes Buch gegeben, bei dem es sich um das Tagebuch einer Heilerin namens Maria handelte. Sie hatte es vor langer Zeit geschrieben, und leider hatte es mir bislang nichts Neues enthüllt. Die meiste Zeit hatte sie wohl damit verbracht, die Namen von Personen aufzulisten, die sie geheilt hatte, und wie viel Geld sie jeweils verdient hatte. Sie hatte sogar eine Tabelle erstellt, was die Heilung der einzelnen Verletzungenoder Krankheiten kostete. Je mehr Energie dabei eingesetzt wurde, umso mehr verlangte Maria. Die Geldgier, die aus diesen Zeilen sprach, bereitete mir Übelkeit, aber ich las weiter und hoffte, doch noch auf etwas Entscheidendes zu stoßen.
    Während Erin und ich plauderten, warf Delia Alcais immer wieder verstohlene Blicke zu. Der schoss gleichgültig einen Pfeil nach dem anderen auf die Dartscheibe, die Delias Vater an die Garagenwand genagelt hatte. Ehe er den nächsten Pfeil folgen ließ, hielt er inne und blickte mich verräterisch an.
    Aus irgendeinem Grund hatte er mich schon den ganzen Tag auf dem Kieker und stellte mir lächerliche Fragen. Wie oft ich schon jemanden mit Grippe geheilt hätte? Ob mir schon je Fremde über den Weg gelaufen seien, deren Krankheit ich nicht hätte heilen können? Ob ich schon jemals eine Geschlechtskrankheit geheilt hätte? Trotz der Proteste seiner Schwester ließ er nicht locker, bis ich ihm am liebsten eine reingehauen hätte.
    Alcais hatte eine Wurstigkeit an sich, die mir nicht gefiel. Er ging Risiken ein, die absolut unnötig waren. Klar, das taten eine Menge Jungs in seinem Alter, so, als hätten sich in der Pubertät Dummheitshormone entwickelt, die sie fälschlicherweise für Mut hielten. Anders als andere Jungs übertrieb er es mit seiner Sorglosigkeit allerdings und benutzte seine Schwester und Delia als Sicherheitsnetze für seine wie immer gearteten Faxen. Was machte es schon, wenn er sich die Hand verbrannte, wenn er sie spaßeshalber durch eine brennende Kerze schwenkte? Delia konnte das ja wieder richten! Und dann der Tag, als er – aus reinem Nervenkitzel – vom Pier gesprungen war. Er hatte sich das Schlüsselbein gebrochen und wie ein Vollidiot gelacht, als er aus dem Wasser kam. Diesmal war Erin an der Reihe.
    Alcais ging stillschweigend davon aus, dass er sich alles erlaubenkonnte, heilen würde ihn ja sowieso immer jemand. Was spielte sein Leichtsinn da schon für eine Rolle? Zuerst begriff ich nicht, wieso mein Großvater oder Alcais’ Eltern ihm das durchgehen ließen. Bemühten sich denn nicht alle, ihre Fähigkeiten zu verbergen, damit die Beschützer sie nicht aufspürten? Dann kapierte ich, dass die Erwachsenen von seinen Spielchen gar keine Ahnung hatten. Delia und Erin verrieten ihn nie, und nachdem die beiden seine Verletzungen ja nicht übernahmen, spielte es keine Rolle.
    Aber ganz so einfach war es eben doch nicht. Denn der Einsatz ihrer Kräfte hatte diese Vollblut-Heilerinnen immerhin erschöpft, auch wenn sie es nicht zugeben wollten. Nachdem Erin Alcais’ gebrochenes Schlüsselbein geheilt hatte, war sie im Gesicht ganz grau geworden, und ihre Augen wirkten plötzlich wie eingesunken, als wäre ihr Lebenskraft entzogen worden. Ich musste meine Wut hinunterschlucken, denn Alcais betrachtete diese Aktion nicht als Opfer, sondern hielt es für vollkommen selbstverständlich, genauso wie davor bei Delia, als sie sich um seine verbrannte Hand gekümmert hatte.
    Beide Mädchen hatten zwar am nächsten Tag behauptet, es ginge ihnen gut, aber ich mochte Alcais einfach nicht. Folglich wich ich seinen spitzen Fragen meistens mit Sarkasmus aus. Als er sich jedoch nach der schlimmsten Verletzung oder Krankheit erkundigte, die ich geheilt hatte, hoben Erin und Delia neugierig den Kopf, und ich fühlte mich genötigt zu antworten.
    Natürlich konnte ich ihnen nicht erzählen, dass ich meine Schwester Lucy geheilt hatte, als mein Stiefvater auf sie geschossen hatte. Und auch nichts über die Heilungen bei Asher und Gabriel. Sie wussten nichts von deren Existenz, und so sollte es auch bleiben. Ich täuschte eine Ruhe vor, die ich nicht empfand, und blätterte weiter in meinem Buch.
    »Ich habe mal jemanden mit Krebs geheilt.«
    Es hatte sich dabei um

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