Die Schatten der Vergangenheit
Großvater und Delias Mutter hereingerannt, sein Glück, denn sonst hätte ich ihm noch einen Tritt zwischen die Beine verpasst.
»Remy? Alcais? Was zum Teufel geht hier vor?«
Als ich schwieg, sprach Erin. »Alcais hat sie drangsaliert. Er hat nur gekriegt, was er verdient hat.«
Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu.
Mein Großvater schien ihre Antwort zu akzeptieren und funkelte ihren Bruder an. »Was habe ich dir gesagt, Alcais? Du musst endlich erwachsen werden und aufhören, dich wie ein Achtjähriger zu benehmen, der das Mädchen, das er mag, auf dem Spielplatz schikaniert!«
Ich fand ja, der Versuch, mir einen Pfeil in die Hand zu rammen, sei schon ein bisschen etwas anderes, als mich aufdem Pausenhof am Zopf zu ziehen. Das sagte ich meinem Großvater aber lieber nicht, denn ihm schien auch so schon jeden Moment der Kragen zu platzen.
»Steh auf!«, herrschte er Alcais an. »Und komm mit.«
Ich hoffte, dass Alcais eine deftige Standpauke bevorstand. Ehe er meinem Großvater ins Haus folgte, flüsterte ich: »Solltest du so was in der Art noch einmal versuchen, dann wirst du es schwer bereuen, das schwöre ich dir!«
Kurz wirkte Alcais verunsichert. Dann erholte er sich und grinste. »Versprechungen, Versprechungen. Ich wollte doch nur sehen, was du so drauf hast!«
»Stell mich lieber nicht auf die Probe, Alcais. Ich kann mich wehren!«
Nachdem er weg war, stellten wir den Stuhl wieder auf und setzten uns. Erin saß genau zwei Sekunden schweigend da, bevor sie in Gelächter ausbrach. Delia sah sie finster an, doch das brachte sie nur noch mehr zum Lachen.
Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. »Sorry, Delia. Aber ich wollte schon seit Jahren erleben, wie Alcais der Arsch auf Grundeis geht!« Mit einem breiten Grinsen wandte sie sich an mich. »Wenn ich dich dafür bezahle, machst du’s dann noch mal? Bitte, bitte?«
Delia stapfte ins Haus, vermutlich, um Alcais zu trösten. Obwohl ich noch immer wütend war, fiel ich in Erins Gelächter mit ein.
Und als wir da so lachend saßen, dachte ich mir, wie gut so eine kleine Erinnerung daran, dass man auf der Hut sein musste, doch war. Man konnte nie wissen, wann einen jemand in eine Falle locken wollte.
Was immer mein Großvater Alcais gepredigt hatte, den restlichen Tag über riss er sich jedenfalls am Riemen. Als Erin und ich zu unserem üblichen Strandspaziergang aufbrachen, schloss er sich nicht an. Unwillkürlich empfand ich Schadenfreude. Selbst Erin entspannte sich, lachte mehr als sie es tat, wenn Alcais und Delia mit dabei waren.
Ich mochte Erin und hatte Gewissensbisse, dass ich Geheimnisse vor ihr hatte. Mir gegenüber war sie immer nett und großzügig. Ich glaube, sie mochte mich auch, und das umso mehr, nachdem ich mir von Alcais nichts hatte gefallen lassen. Sie selbst muckte nicht oft genug auf, und ich hätte ihr gern dabei geholfen, das zu ändern. In gewisser Weise erinnerte sie mich an eine schüchterne Version von Lucy.
Schließlich mussten wir umkehren. Je näher wir zu ihrem Haus kamen, umso mehr trödelten wir.
»Wie gefällt dir das Buch, das Franc dir gegeben hat?«, fragte Erin.
Ich schnitt eine Grimasse. »Na ja, diese Maria war ja wohl raffgierig ohne Ende.«
Sie grinste. »Ach ja, Maria. Ihre Tabellen gingen ihr über alles. Meine Mom sagt immer, das Tagebuch sei für Maria wie ein Liebesbrief ans Geld.«
»Du weißt ja gar nicht, was für ein Glück du hast, dass du mit deinen Eltern immer über deine Fähigkeiten sprechen konntest. Manchmal wünschte ich, meine Mutter hätte nicht so viel Schiss gehabt, mir die Wahrheit über mich zu sagen.«
Hätte meine Mutter mir gesagt, was auf mich zukam, dann hätten mir meine Fähigkeiten vielleicht nicht eine solche Angst eingejagt. Wäre sie zur Stelle gewesen, um mich zu trösten, hätte ich mit den Schmerzen besser umgehen können.
»Hey, Remy, wär’s okay, wenn ich dir einen Rat gäbe?«, fragte Erin.
Etwas an ihrem Ton ließ mich aufhorchen. Ich blieb stehen und passte auf, dass sich unsere Schultern nicht berührten.
»Sei vorsichtig, okay? Es ist nicht immer alles so, wie es scheint.«
»Spielst du auf die Sache von vorhin mit Alcais an?«
Sie legte sich die Arme um die Taille, als würde sie frieren, obwohl die Sonne schien. »Pass einfach auf, wem du vertraust.«
Mit dieser kryptischen Bemerkung setzte sie ihren Weg fort und weigerte sich, noch mehr zu sagen. Ich ging ihr nachdenklich hinterher. Alcais war so wenig vertrauenswürdig, dass ich mich
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