Die Schatten der Vergangenheit
dass er meine Haut dabei nicht berührte.
»Sei vorsichtig, okay?«
Eine Tür wurde zugeschlagen, und ich drehte mich um, weil mein Großvater nach mir rief. Eine leichte Brise liebkoste mein Gesicht, und ich wirbelte panikartig herum.
Asher war verschwunden.
Als ich die Küche betrat, stand mein Großvater an der Theke.
»Hi«, sagte ich.
Ich hoffte, er würde nicht reden wollen. Ich wollte nur noch in mein Zimmer und mich unter meine Bettdecke verkriechen. Ich wollte nicht vorgeben müssen, nicht müde, ängstlich und traurig zu sein.
»Wer war das?« Großvater nickte in Richtung des Küchenfensters, das zum Wald zeigte.
Um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, holte ich mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Was hatte er gesehen? Ich machte den Kühlschrank zu und ließ mich auf einen der Küchenstühle fallen, lässig, als hätte ich nicht die geringsten Probleme.
»Nur so ein Typ, den ich beim Wandern kennengelernt habe.«
Asher und ich hatten uns weder umarmt noch geküsst. Tatsächlich hatten wir nichts getan, woraus man schließen konnte, dass wir uns schon länger kannten. Ich hoffte, die Tatsache, dass ich erwähnt hatte, beim Wandern gewesen zu sein, würde ihn ablenken. Wenn er sich darüber aufregen konnte, dass ich auf eigene Faust losgezogen war, vergaß er darüber vielleicht Asher.
»Mir ist hier die Decke auf den Kopf gefallen«, fuhr ich fort, »also bin ich zu dem Aussichtspunkt hier in der Nähe gegangen. Inspiration Point, stand, glaube ich, auf dem Schild.«
Ich trank einen Schluck Wasser, während mein Großvater mich prüfend ansah.
»Und dort hast du ihn kennengelernt?«
Ich zuckte die Achseln und duckte mich, als sei ich beschämt.»Ehrlich gesagt, habe ich unterwegs ein bisschen die Orientierung verloren. Er war so nett und hat mich zurückbegleitet.«
Nahm er mir das ab? Meine Knöchel wurden weiß, so fest umklammerte ich die Wasserflasche. Ich lockerte meinen Griff, ehe ich noch überallhin Wasser verschüttete.
»Es tut mir leid«, setzte ich hinzu. »Du hast gesagt, ich solle hier in der Nähe bleiben, ich weiß.«
Mein Großvater lehnte sich mit der Hüfte an die Theke und verschränkte die Arme. Er sah mich streng an. »Du musst vorsichtiger sein, Remy.«
»Mach ich. Versprochen«, sagte ich hastig. »Ich dusche vor dem Abendessen noch schnell.«
Ich sprang auf und rannte aus der Küche. Allerdings bekam ich noch mit, wie mein Großvater mit nachdenklicher Miene zum Küchenfenster hinausschaute.
Nach Chrissys Heilung behandelten mich die Leute in Pacifica anders, und ich ertappte mich bei dem Wunsch, dass ich bald im Flieger zurück nach Blackwell Falls sitzen wollte.
Die Art und Weise, wie ich Verletzungen heilte, ängstigte manche und faszinierte andere. Und ihren Blicken nach zu urteilen, waren viele von ihnen wütend darüber, dass ich mich weigerte, mich testen zu lassen. Nachdem eine Untersuchung meiner Werte ihre Forschungen vorantreiben konnte, waren meine Gefühle dazu scheinbar nebensächlich.
Mein Großvater hatte mich gewarnt, dass das ein paar Leuten gar nicht gefallen würde. Er hatte sie gebeten, mich in Ruhe zu lassen, aber ich kam mir abwechselnd so vor, als wäre ich ein Käfer unter einem Mikroskop oder einer, der unter einem Vergrößerungsglas verbrannt wurde. Wenn ich Erin vorher besucht hatte, hatten wir tun und lassen können, was wir wollten. Meistens waren wir an den Strand gegangen, wo wir vor den Erwachsenen unsere Ruhe hatten.
Doch jetzt, so kurz nach Yvettes Tod, durften wir uns nur noch ausschließlich bei Erin oder Delia aufhalten. Das wäre ja gut und schön gewesen, aber plötzlich erlebte ichüberall dort, wo ich auftauchte, einen überraschenden Ansturm von Heilerinnen und ihren Familien. Alle hielten sich zwar brav an die Anordnung meines Großvaters, aber das stoppte die Blicke oder das Geflüster nicht, das mich überallhin verfolgte.
Hätte es Franc erlaubt, dann wäre ich einfach zu Hause geblieben. Doch nachdem er mich mit Asher gesehen hatte, ließ er mich nicht mehr aus den Augen.
Ich hatte Asher schon seit drei Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen. Hätte er mir nicht jeden Abend eine SMS geschrieben, um zu checken, wie es mir ging, wäre ich ausgeflippt.
Er weigerte sich, mit mir über uns zu sprechen, und das sagte mir, wie sehr ich ihn, wenn auch unabsichtlich, verletzt hatte. Ich hatte meine Gedanken ja nicht immer unter Kontrolle, aber irgendwie machte es das nur schlimmer. Er wusste, dass meine
Weitere Kostenlose Bücher