Die Schatten der Vergangenheit
Zweifel ihm gegenüber so stark waren, dass ich sie oder gar meine Ängste nicht vor ihm hätte verbergen können.
Als wäre das noch nicht genug, verließ Erins Mutter das Zimmer, wenn ich Erin besuchte. Es war schwer zu sagen, ob mich Dorthea als Antichristen betrachtete oder einfach nur als jemanden, dem man aus dem Weg ging wie etwa einem Kaugummi, den jemand auf den Bürgersteig gespuckt hatte. Delia wäre ihrem Beispiel gefolgt, doch Alcais wich nicht von meiner Seite.
Der Mistkerl schien sich vorgenommen zu haben, Experimente mit mir anzustellen. Tags zuvor hatte er versucht, sich selbst zu verletzen, indem er sich mit einem Taschenmesser in die Hand geschnitten hatte. Ich hatte mich geweigert, das Spielchen mitzuspielen, und er hatte sich an Delia und Erin wenden müssen. Als ich am Tag darauf zu Erin kam, begrüßte mich Delia mit finsterem Blick. Franc hatte mich in ihre Obhutgegeben, und dafür hasste sie mich. Ich folgte ihr gerade in Erins Garage, als man hörte, wie diese vor Schmerzen aufschrie. Alcais stand bei seiner Schwester und hielt ihre Handfläche über eine brennende Kerze, obwohl sie sich verzweifelt dagegen wehrte. Bei meinem Erscheinen warf er mir einen herausfordernden Blick zu und grinste.
Schließlich ließ er Erin los, die sich nur noch wimmernd auf einen Stuhl fallen ließ. Der Geruch verbrannten Fleisches wehte zu mir herüber, und die Erinnerungen daran, wie mich Dean mit brennenden Zigaretten traktiert hatte, schwappten nach oben. Eine besonders grässliche Narbe hatte ich unter dem Arm, denn dort hatte er immer und immer wieder Zigaretten ausgedrückt. Ich betrachtete sie als Mahnmal – manche Menschen waren einfach durch und durch niederträchtig.
Alcais hatte Erin meinetwegen verletzt. Er wusste, dass Delia keine Verbrennungen heilen konnte, und wollte herausfinden, ob ich es könnte. Hätte ich Ashers Kraft gehabt, dann hätte ich Kleinholz aus ihm gemacht. Ich hatte nur meine Fähigkeiten. Meine ganz besonderen Fähigkeiten.
Ich ließ meine Tasche auf den kleinen Tisch fallen, an dem wir erst vor ein paar Tagen noch herumgealbert hatten. Dann kniete ich mich vor Erin hin und schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln.
»Komm, ich helfe dir.«
Vor Schmerzen kniff sie die Augen zusammen, schüttelte aber den Kopf. Eine Sekunde lang dachte ich, sie wolle sich von einem Freak wie mir nicht heilen lassen, aber sie sagte: »Nein. Ich will dir nur nicht meine Schmerzen aufhalsen!«
Ich kam mir mies vor, dass ich an ihr gezweifelt hatte. »Vertrau mir, okay? Ich habe schon Schlimmeres durchgemacht. Bitte!«
Alcais stieß sie an der Schulter. Ihre Tränen ließen ihn kalt. »Jetzt gib ihr schon deine Hand!«
»Du bist ein Arschloch, Alcais«, hörte ich Delia hinter mir sagen.
Sie schien ausnahmsweise einmal sauer auf ihn zu sein, und ich wollte jubeln, dass sie endlich einmal Rückgrat zeigte. Ich lächelte Erin noch einmal an, und sie gab endlich nach. Als sie ihre Hand in meine legte, kullerten riesige Tränen ihre Wangen hinab.
Sie hatten ja keine Ahnung, wie viel Erfahrung ich im Heilen von Brandwunden hatte. Das mit Dean war eine Sache, aber ich hatte auch einmal Ashers Hand geheilt, die er sich verbrannt hatte, als er mich vor einem Sturz in ein Lagerfeuer bewahrt hatte. Ich konnte Erin heilen, aber wenn ich ihre Verletzung übernahm, würde es mir ganz schön dreckig gehen. Zudem musste ich dazu meinen Schutzwall senken und sie berühren.
Mit zusammengebissenen Zähnen legte ich eine Hand auf ihre, ließ meine Abwehr herunter und wartete. Das Ungeheuer in mir reckte sofort das Haupt, aber ich drückte es nieder, entschlossen, nicht einzuknicken. Es tat fast weh, mir Erins Energie zu verweigern, aber ich schaffte es.
Ich ließ das Summen beginnen und scannte Erin. Wie Chrissys unterschied sich auch ihr Innenleben von dem eines normalen Menschen.
Erin keuchte, und ich konzentrierte mich auf ihre Verletzung. Schnell stellte ich mir die Beschädigungen an ihrer Haut und den Nerven darunter vor. Ich sah ihre Hand wieder heil und rosig vor mir, während meine Energie auf sie wirkte und die Wunde unter meiner Hand zusammenwuchs.
Als ich sie geheilt hatte, sah ich auf. »Keine Panik, okay?«
Erin nickte und riss die Augen weit auf, als lila Funken dieLuft erhellten. Ich zog meine Hand von ihrer weg. Und dann dachte ich an gar nichts mehr, als meine Handfläche verkohlte und meine Nerven vor Schmerzen brüllten. Ich wollte mich auf dem Boden zusammenrollen und schreien,
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