Die Schatten der Vergangenheit
dass er nicht mehr so war wie sie? Dass er seine Wunden nicht mehr auf dieselbe Art heilen konnte?
Ich wischte mir das feuchte Gesicht an meiner Jacke ab, drückte mich gegen die kalte Wand und zog die Knie an, weil ich mich zusammenkauern wollte.
Asher hat Schlimmeres überlebt, rief ich mir in Erinnerung. Und er war immer noch ein Beschützer. Er konnte immer noch am Leben sein. Vielleicht hatten die beiden Männer ihn erschossen, um ihn aus dem Weg zu räumen, aber vielleicht wollten sie ihn gar nicht töten, weil er ebenfalls ein Beschützer war. An diesen Gedanken klammerte ich mich, während ich diesen verdammten Schuss noch mal Revue passieren ließ, bis ich schreien wollte.
Die Tür ging auf, und ich fuhr zusammen, sodass meine Ketten rasselten wie die eines verfluchten Geistes. Einen Augenblick lang blendete mich das Licht, aber als sich meine Augen darauf eingestellt hatten, sah ich den schwarzhaarigen Typen. Ich befand mich im selben Raum wie zuvor.
»Wo ist Asher?« Ich schluckte. »Habt ihr ihn ins Krankenhaus gebracht?«
Verwirrung und Neugierde huschten über die kalten Gesichtszüge des Mannes. »Was interessiert dich das? Er tötet deinesgleichen aus Spaß!«
Das überhörte ich. »Bitte! Ist alles okay mit ihm? Er ist nicht wie ihr. Unter Umständen kann er sich nicht selbst heilen. Ich kann hel…«
Er winkte ab, und der Onyxstein in seinem Silberring glitzerte im Licht. »Um den mach dir mal keine Sorgen, mach sie dir lieber um dich!«
Er hockte sich vor mich und stützte sich mit beiden Händenan der Wand ab. Mit den Fingerknöcheln streifte er meinen Hals, und ich wich zurück, hatte in dieser Sekunde nur einen einzigen Wunsch: mit den Ziegeln zu verschmelzen, um von ihm wegzukommen. Er lächelte, und sein Atem roch nach Pfefferminze.
»Remy, wir werden einen Mordsspaß miteinander haben. Du bist was Besonderes, das merke ich. Ich wette, deshalb ist dein Freund so gern für dich gestorben.«
Ich hörte nur dieses eine Wort. Gestorben. Er war tot. Asher war tot. In meiner Brust erhob sich ein Schluchzen. Ich bekam keine Luft mehr, als sich die Last meiner Verzweiflung auf meine Brust legte. Ich sah, dass der Boden voller Blut war.
Neiiiiiiiiin!
Ich fing an zu kreischen und konnte nicht mehr aufhören. Wollte nicht mehr aufhören. Ich war vollkommen hysterisch.
Beinahe so, als wollte er mich trösten, strich mir der Beschützer das Haar aus der Stirn. Bei seiner Berührung wurde mir schlecht, und ich wollte nur eines: ihn töten.
Ich drehte mich von ihm weg und trat mit beiden Beinen nach ihm. Es brachte ihn nicht einmal aus dem Gleichgewicht. Etwas Dunkles und Kaltes flackerte in seinen Augen auf, und das war meine einzige Warnung. Dann kam seine Energie mit einer Wucht auf mich zugeschossen, dass es mir schwarz vor Augen wurde.
Ich biss die Zähne zusammen und verstärkte meinen Schutzwall. Seine Energie brandete gegen mich wie Sturmwellen gegen einen Wellenbrecher. Noch nie hatte ich etwas Derartiges erlebt. Gabriel und Asher hatten mich getestet, aber sie hatten ihre Energie nie mit voller Kraft auf mich losgelassen. Eine andere Heilerin hätte keine Chance gehabt, sie abzublocken. Heilerinnen besaßen keine Mauern, um Beschützer daran zu hindern, das zu rauben, wonach sie lechzten.Nur Beschützer verfügten über eine mentale Abwehr. Noch nie war ich so dankbar für mein Beschützerblut gewesen.
»Was zum Teufel …?«, flüsterte der Kerl.
Die Woge seiner zerstörerischen Kraft rollte wie ein Tsunami, der alles unter sich begraben würde, auf mich zu. Meine Abwehr erbebte unter dem frontalen Angriff, aber ich weigerte mich, klein beizugeben. Beschützer töteten, um etwas zu fühlen, aber lieber starb ich, als dass ich ihm gab, was er wollte. Schiere Willenskraft hielt mich aufrecht, und auf meine Stirn traten Schweißperlen. Ein salziger Tropfen lief meine Wange zu meinem Mundwinkel hinab. Ich reckte das Kinn und stellte mir vor, meine Schutzwälle seien aus undurchdringlichem Titan.
Das rechte Auge des Beschützers zuckte, und sein Energiestrom kam zum Erliegen. Er wich zurück, taumelte im Zickzack wie ein Betrunkener.
»Was bist du?«, fragte er irritiert.
»Du kriegst nie im Leben, was du von mir willst «, fauchte ich. »Nur zu, töte mich, aber ich schwöre dir, dass du durch mich nie etwas empfinden wirst!«
Dean, der jahrelang vergeblich versucht hatte, meinen Willen zu brechen, hatte mir einmal gesagt, er könne die Auflehnung in meinen Augen sehen. Ich
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