Die Schatten der Vergangenheit
»Hi, Remy«, sagte er leise.
Ich starrte ihn an. Wieso griff er die Männer nicht an? Was für Pläne hatte er? Seine Miene verriet nichts, außer Ekel, als sein Blick auf das getrocknete Blut auf meiner Jeans fiel. Das Blut seines Bruders.
Da stimmte doch etwas nicht. Verzweifelt versuchte ich, mir einen Reim darauf zu machen, was hier ablief. Gabriel hatte den Raum mit diesen zwei fiesen Typen betreten. Sie fühlten sich durch sein Erscheinen nicht bedroht. Nein, er war gar nicht hier, um mir zu helfen, nicht einmal, um Ashers Tod zu rächen.
Das machte alles keinen Sinn. Jemand hatte den Beschützern verraten, wo man Asher und mich finden würde. Diese Person hatte auch gewusst, dass Asher als Köder eingesetzt werden könnte, um an mich heranzukommen. Wer sonst hätte darüber Bescheid wissen können außer der Person, der wir alles anvertrauten? Gabriel hatte mich nie leiden können. Eine Zeit lang hatte er mich toleriert. Doch dann hatte er mich an die Beschützer verraten. Wie es auch schon Lottie getan hatte. Aber jetzt war alles noch schlimmer, denn er hatte Asher verraten.
Er war derjenige gewesen, der Xavier telefonisch mit Informationen versorgte.
Er hatte Asher auf dem Gewissen.
Ich geriet außer mir vor Zorn. Am liebsten hätte ich Gabriel eigenhändig in Stücke gerissen. Wäre ich frei gewesen,hätte ich ihn getötet. Die Handschellen schnitten mir in die Handgelenke, als ich mich auf Gabriel stürzen wollte. Ich stieß einen frustrierten Schrei aus, als ich nicht an ihn herankam, während mich Ashers Bruder mit derselben versteinerten Miene betrachtete wie bei unserer ersten Begegnung.
»Wie konntest du!«, brüllte ich. »Er hat dich geliebt. Weißt du, wie sie ihn umgebracht haben? Diese Schweine haben ihn erschossen und ihn dann auf dem Boden verbluten lassen. Na, gefällt dir der Gedanke?«
Gabriel antwortete nicht. Er wartete, dass ich mich beruhigte. Dann beugte er sich zu mir, sein Gesicht zu einer Maske erstarrt. Ich dachte nicht nach. Ich spuckte ihm ins Gesicht. Gabriel sah mich an, mein Speichel tropfte von seiner Wange. Angesichts seiner Gemütsruhe lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Stille. Plötzlich griff er nach mir. Ich wich zurück, aber er hob nur mein Tanktop und benutzte den Saum, um sich meine Spucke vom Gesicht zu wischen.
»Er bereitet mir nicht annähernd so viel Vergnügen, wie ich es haben werde, wenn ich dir beim Sterben zuschaue, Heilerin«, sagte er laut.
»Ich werde dich töten, Gabriel!«
Eine dunkle Augenbraue hob sich.
»Und du wirst umkommen vor Schmerzen, das schwöre ich dir«, setzte ich nach.
Seine Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln. »Bevor ich dich zerstöre oder danach? Heilerinnen sind ja so zerbrechlich!«
Er fuhr mit dem Finger von meiner Schulter zu meinem Arm. Bevor ich meine Fähigkeiten gegen ihn freisetzen konnte, packte er mich am Unterarm und verdrehte ihn, wie er es auch schon bei unserem Training getan hatte. Wo er seine Kraft da jedoch zurückgenommen hatte, um mich zuschonen, übte er nun so lange Druck aus, bis etwas entzweibrach. Schmerzen versengten mich, und ich schrie. Ich hörte, wie die Männer lachten.
Ein Schatten huschte über Gabriels Gesicht. Ein Gefühl, das ich nicht deuten konnte.
Und dann kümmerte es mich nicht mehr, wie er mir wehtat.
»Remy? Wach auf!«
Alles schmerzte, als hätte man mir meine Seele mit einer stumpfen Rasierklinge aus dem Körper geschabt. Mit dem Bewusstsein kehrte auch die Erinnerung zurück. Asher. Oh Gott. Es tut mir so leid. Ein Schluchzen verfing sich in meiner Kehle. Die Stimme sprach weiter, und ich wartete auf den Schlag, der bald kommen musste.
Jemand hatte die Spannung an den Ketten meiner Handgelenke gelockert, und ich lag auf dem Steinboden anstatt an der Mauer zu lehnen. Ich versuchte, meinen gebrochenen rechten Unterarm an mich zu drücken, und zuckte zusammen, als mich neue Schmerzen durchfuhren. Nachdem Gabriel mit mir fertig gewesen war, war er zurückgetreten und hatte die anderen beiden Beschützer übernehmen lassen. Mein Körper war übersät mit Blutergüssen und Schnitten. Sie hatten abwechselnd auf mich eingeschlagen, während Gabriel zuschaute, wobei sein Kiefer arbeitete, als würde er die Zähne zusammenbeißen.
»Remy?«, sagte die Stimme wieder.
Jemand befand sich ganz nah über mir und schirmte das Licht ab. Ich riss meinen unverletzten linken Arm hoch, um mich zu schützen, bevor ich begriff, dass es Gabriel war.Gabriel, der mich
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