Die Schatten der Vergangenheit
Spielchen keine Zeit.«
Die Decke über ihm hatte zweiundzwanzig Paneele. Als mich die Schmerzen zu überwältigen drohten, hatte ich lange Minuten damit verbracht, sie zu zählen. Bei jeder Bewegung dröhnte mein Kopf, und wenn ich ihn zu schnell drehte, sah ich Sternchen. Wenn man jemanden erstickte, lief das auch so. Das war das letzte von vielen Experimenten gewesen, mich zu zerstören.
Mark gefiel mein permanentes Schweigen nicht. Während sie mich gefoltert hatten, hatten sie mir eine Litanei von Fragen gestellt. Ob ich wüsste, dass Asher ein Beschützer sei? Inwiefern ich anders sei? Wozu ich imstande sei? Ob es andere wie mich gäbe? Ob ich andere Beschützer kennen würde? Ich hatte die Zähne zusammengebissen und kein Sterbenswort verlauten lassen, und sie hatten mich weitergequält. Nun erhöhte sich der Druck des Messers, bis die Klinge meine Haut aufritzte. Erstaunlich, wie kalt sich das Metall anfühlen konnte und wie heiß der Schmerz vergleichsweise brannte. Genau das hatten sie auch mit Yvette gemacht. Diese Dreckskerledachten, die Schnitte, das Würgen und der ganze Rest würden mich gefügig machen. Genau wie Dean glaubten sie, mich durch Schmerz unter Kontrolle bringen zu können. Wie dumm sie doch alle waren.
Nach dem Verlust Ashers war ich nur noch von dem einen Wunsch beseelt, diese Typen vom Erdboden zu tilgen. Bislang hatte sich noch keine Gelegenheit dazu geboten, doch der Augenblick würde kommen. Unterdessen musste ich wieder Energie tanken, was gar nicht so einfach war, weil sie mir keine Pause gönnten. Warum hatten sie mich nicht schon längst über die Klinge springen lassen?
Ich stellte mir Ashers Stimme vor. Nur die Ruhe, Remy. Sei schlau. Du kommst da raus! Vielleicht lebte er ja nur noch in meiner Fantasie, aber ich hörte ihm zu. Niemals würde ich mich diesen Bastarden fügen. Lieber wollte ich im Kampf sterben.
Wieder ritzte Mark mit seinem Messer meinen Arm, und ich zuckte mit keiner Wimper. Amateur, spottete ich innerlich. Dean hatte viel Schlimmeres mit mir gemacht. Das hier hielt ich aus, auch wenn es mich erschöpfte. Zeit, die Taktik zu ändern, selbst wenn das hieß, vorübergehend meine Energievorräte aufzubrauchen.
Ich lächelte. Während dieser Dreckskerl von Mark mir nun kleine Stichwunden am Oberschenkel zufügte, heilte ich meine Arme. Als er merkte, dass die Wunden verschwanden, riss er den Kopf hoch. Das war mir so was von egal. Im Gegenteil – ich wollte, dass er sah, was ich konnte. Dass er wusste, dass ich unglaubliche Kräfte besaß und sie nie für ihn einsetzen würde. Ich stellte mir vor, wie Asher mich anschrie, ich solle endlich aufhören, diese Kerle gegen mich aufzubringen. Aber Asher war tot, und ich musste allein zurechtkommen.
»Na, wie fühlt sich das an, einer Heilerin so nahe zu sein undzu wissen, dass man nie in den Genuss ihrer Gaben kommen wird?«, spottete ich. Mark fluchte und nahm das Messer von mir weg.
Ich tat, als würde ich nachdenken, und schüttelte dann den Kopf, als hätte ich mich gerade wieder erinnert. »Ach ja, richtig. Du kannst ja gar nichts fühlen!«
Mark riss den Arm zurück, als würde er mir ins Gesicht schlagen wollen.
Nur zu, du Scheißkerl!, dachte ich. Und das heile ich auch wieder, während du zuschaust wie ein geifernder Hund.
Sein Gesicht verdüsterte sich, ehe er auf dem Absatz kehrtmachte. Als er die Tür hinter sich zuschlug, wäre sie beinahe aus den Angeln gerissen.
»Wieder allein«, wimmerte ich.
Oh, Asher. Ich brauche dich so!
Als die Tür das nächste Mal aufging und die beiden Beschützer hereinkamen, nahm ich nicht mal Notiz von ihnen. Wozu auch? Bald würden sie mich töten, und alles wäre vorbei. Ich war an eine Wand gekettet, und ich sah keine Chance, ihnen zu entkommen.
»Ich hab dir doch mal gesagt, die einzig gute Heilerin ist eine tote Heilerin.«
Beim Klang der vertrauten tiefen Stimme blickte ich auf. Gabriel. Was war das? Eine Fata Morgana?
Er stand in der Tür, so perfekt und unnahbar wie immer.
Ich war so überrascht, dass mir Gabriels Erscheinen ein erleichtertes Schluchzen entlockte. Asher würde gerächt werden. Und diese beiden miesen Typen würden sterben.Gabriel hatte mir immer gesagt, seine Familie komme an erster Stelle. Er hatte versprochen, jeden zu töten, der sie in Gefahr brachte, einschließlich mir.
Ich wartete und konnte mich gar nicht sattsehen an diesem makellosen Gesicht, das Ashers so ähnelte.
Gabriel kam auf mich zu und hockte sich neben mich.
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